„Zug der Erinnerung": Innerhalb dieser Waggons erscheint die Stille wie leidvolles, hilfesuchendes Geschrei
Fünfzehn Frauen aus der Huzur-Seniorenfreizeitstätte waren zu Besuch beim "Zug der Erinnerung" am Bahnhof Grunewald - sie erarbeiteten sich so ein weiteres ergreifendes Kapitel der deutschen Geschichte und beschlossen, dem Jüdischen Museum einen zweiten Besuch abzustatten.
Mitte April 2008 war der „Zug der Erinnerung" in Berlin zu Gast. Auch die Besucherinnen der Seniorenfreizeitstätte HUZUR wollten die Ausstellung besuchen, da ihnen viel dran liegt, der deutschen Geschichte auf die Spur zu kommen. 15 Frauen machten sich deswegen am 21. April um 7.30 Uhr auf den Weg zum S-Bahnhof Grunewald, um - wie schon bei ihren Besuchen im Jüdischen Museum und im in Konzentrationslager Sachsenhausen - den großen Schmerz des Krieges und den der Opfer ein weiteres Mal nachzuempfinden.
Am Zug erwarteten die Frauen zwei angenehme Überraschungen: Sie wurden schon vor der offiziellen Öffnung hineingelassen, da es draußen sehr kalt war. Zudem stellte sich heraus, dass ein junger Mann namens Mehmet Can die Gruppe durch die Ausstellung führte, der ebenfalls aus der Türkei stammt und hier in Deutschland Geschichte studiert.
Auf die Frage, warum er sich für das Thema interessiert und auch Führungen macht, antwortete er:
„Die nationalsozialistische Vernichtung des europäischen Judentums ist ein Ereignis unvorstellbaren und zudem einmaligen Ausmaßes. Gerade für uns Deutsche bzw. als deutsch sozialisierte Menschen hat dieses Thema bzw. muss dieses Thema einen anderen Bezug haben, als für Menschen anderer Nationen. Besonders deutlich wird mir das immer in Gedenkstätten im Ausland. Im Gegensatz zu den heimischen Besuchern sind wir z.B. nicht auf die Übersetzung der Originaldokumente angewiesen. Die Tätersprache ist nun mal auch meine Sprache."
Bevor die Führung begann, schmückten die Frauen die Waggons zu Ehren der Opfer mit Rosen und zündeten Kerzen an. Die innerhalb der Waggons ausgestellten Bilder und die dazugehörigen Erklärungen berührten die Frauen tief, und ein weiteres Mal beteuerten sie ihr Mitgefühl mit den jüdischen Opfern und ihre Empörung darüber, Menschen nur aufgrund ihres Glaubens abzustempeln und vernichten zu wollen. Der Holocaust sollte ihrer Meinung nach nicht ohne Folgen bleiben, da dieses geschichtlichen Verbrechen eine Auseinandersetzung verlangt.
Herr Can erklärte, dass die Ausstellungswaggons nach dem Krieg gebaut wurden und man sich die tatsächliche Situation in den Waggons kaum vorstellen könne: Europaweit wurden Juden in sehr hoher Anzahl in die Abteile gepfercht und wochenlang ohne Wasser, Essen und sanitäre Anlagen transportiert. Viele Menschen starben bereits auf dem Weg in die Konzentrationslager - weil sie tot getrampelt wurden, verhungerten, verdursteten oder an grassierenden Krankheiten wie z.B. Typhus starben.
Experten schätzen, dass die deutsche Bahn über eine Millionen Kinder und Jugendliche aus sämtlichen europäischen Staaten in Todeslager transportiert hat. Dass die aktuelle Ausstellung in Zügen und in verschiedenen Bahnhöfen stattfindet, soll daran erinnern, dass die Deportation der Juden öffentlich, für jeden zu sehen war. Die Ausrede, man hätte nichts davon mitbekommen, wird somit zumindest fragwürdig.
Alles funktionierte damals mit großer Gründlichkeit: Logistiker der Reichsbahn, die der Vorgänger der heutigen Deutschen Bahn war, entwarfen den Fahrplan der Deportationen. Etliche Täter setzten nach der Kriegszeit ihre Karrieren bei der Bahn fort und wurden für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen.
Auch heute, so die Stimmen von Kritikern, ist die Aufarbeitung dieser Geschichte mit Schwierigkeiten verbunden: Die „Deutsche Bahn AG", die ja die „Reichsbahn" beerbt hat, verlangt hohe Summen, damit der „Zug der Erinnerungen" das deutsche Schienennetz benutzen darf. Zudem fordert sie Geld für die Bereitstellung der Infrastruktur und für den Zugang zur Ausstellung, da sie die Beleuchtung der Fotos finanziert.
Diese finanziellen Forderungen, die aus Spenden der Besucher/innen finanziert werden sollen, verhindern das öffentliche Gedenken an die jugendlichen Opfer. Das Ziel, mit der Ausstellung bis Auschwitz zu reisen um dort endlich den kindlichen und jugendlichen Opfern des Holocausts zu erinnern, ist so sehr schwierig umzusetzen - die Initiatoren der Ausstellung fordern jedoch freie Fahrt für den „Zug der Erinnerung" und bitten die deutsche und europäische Öffentlichkeit um Unterstützung des Projektes.
- Bei den Huzur-Besucherinnen wechte der Besuch im „Zug der Erinnerung" den Wunsch, ein weiteres Mal das Jüdische Museum zu besuchen, um noch mehr über diesen Teil der Geschichte zu erfahren.
Dank des Quartiersmanagements Schöneberger Norden waren die bisherigen Besuche zur Erforschung der deutschen Geschichte sowie der nächste Woche anstehende Besuch im Jüdischen Museum möglich.