Soziale Erhaltungsverordnungen in Schöneberg

Veröffentlichung: 11. September 2013; Update: Stand Februar 2014

Soziale Erhaltungsverordnungen in Schöneberg

Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat am 20. August 2013 beschlossen für zwei Gebiete im Ortsteil Schöneberg eine soziale Erhaltungsverordnung aufzustellen. Am 6. September 2013 wurde der Beschluss im Amtsblatt bekannt gemacht.

Wo liegen die Gebiete und wie wurden sie festgelegt?

Das geplante soziale Erhaltungsgebiet „Barbarossaplatz/Bayerischer Platz“ umfasst die Grundstücke zwischen Hohenstaufen-, Pallas-, Elßholz-, Grunewald- und Bamberger Straße im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg.
(vgl. untenstehende Übersichtskarte).

Erhaltungsgebiet „Barbarossaplatz/Bayerischer Platz“

Zu dem geplanten sozialen Erhaltungsgebiet „Großgörschenstraße/Kaiser-Wilhelm-Platz“ gehören die Grundstücke zwischen Goeben-, Yorck-, Bautzener -, Monumentenstraße, östlicher Grenze des St. Matthäus-Kirchhof, Großgörschenstraße, Wannseebahngraben, Kolonnen-, Haupt- und Potsdamer Straße im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg.
(vgl. untenstehende Übersichtskarte)

Erhaltungsgebiet „Großgörschenstraße/Kaiser-Wilhelm-Platz“

Die Abgrenzung der Gebiete erfolgte im Rahmen einer Voruntersuchung durch die „asum GmbH“ (vgl. bezirkliche Homepage). Auf der Grundlage der vorhandenen statistischen Datengrundlagen wurden anhand der Kriterien „Aufwertungspotential“, „Aufwertungsdruck“ und „Verdrängungspotential“ Gebiete herausgefiltert, die für den Erlass einer sozialen Erhaltungsverordnung in Frage kommen. Die beiden oben genannten Gebiete gehören hierzu. Für Bereiche, die aufgrund eines hohen Anteils von Wohnungen mit Mietpreis- bzw. Belegungsbindung keinem absehbarem Aufwertungsdruck ausgesetzt sind, wurde aktuell kein Aufstellungsbeschluss gefasst. Hierzu gehört der Bereich „Dennewitzplatz“. Für den Bereich „Schöneberger Insel“ ist eine Entscheidung über die Aufstellung einer Erhaltungsverordnung zunächst zurückgestellt worden.

Was ist eine soziale Erhaltungsverordnung?

Der Erlass einer sozialen Erhaltungsverordnung – früher bekannt unter dem Stichwort Milieuschutz – dient unmittelbar städtebaulichen Zielen. Mieterschutzrechtliche und soziale Aspekte sind nur mittelbar betroffen.
Soziale Erhaltungsverordnungen zielen auf „die Erhaltung der Zusammensetzung der Bevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen“, wie es im § 172 Abs. 1 und Abs. 4 des Baugesetzbuches mit juristischen Worten formuliert wurde.
Konkret bedeutet dies, dass eine Verdrängung der im Gebiet Wohnenden verhindert werden soll, soweit sich dies auf die Stadt, auf die Umwelt sowie auf das lokale Nutzungs- und Verflechtungsgefüge auswirken kann.

Wie kann sich eine Verdrängung der Bewohner/innen aus ihrem „Kiez“ auf den Städtebau auswirken?

Ist die soziale und verkehrliche Infrastruktur (z.B. Schulen mit Angeboten für Kinder nichtdeutscher Herkunft; gute, fußläufige Angebote für SeniorenInnen; günstige Anbindung des Gebietes an öffentliche Verkehrsmittel; Dienstleistung und Handel sind gezielt auf die Nachfrage der BewohnerInnen ausgerichtet) auf die vorhandene Wohnbevölkerung (z.B. viele Kinder, MigrantenInnen, Alte, nicht motorisierte BewohnerInnen; Menschen mit wenig Einkommen; MieterInnen) zugeschnitten, würde die Verdrängung dieser Bewohner das städtebauliche Gefüge beeinflussen und negativ verändern. Denn es müssten an anderer Stelle in der Stadt neue Schulen, Freizeitstätten u.a. geschaffen werden, Geschäftsinhaber wären gezwungen ihrer Kundschaft hinterherzuziehen. Schüler und Berufstätige hätten längere Wege in Kauf zu nehmen.
Dies wäre mit höheren Kosten für sie und die öffentliche Hand, aber auch mit einem höherem Verkehrsaufkommen und Umweltbelastungen verbunden. Die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung löst aber auch die Nachfrage nach günstigem Wohnraum in anderen Wohngebieten oder Ortsteilen aus. Hier kann ein neuer Verdrängungsprozess ausgelöst werden. Die Schaffung neuen günstigen Wohnraumes, aber auch neuer öffentlicher Infrastruktur ist vor dem Hintergrund leerer Haushaltskassen vor allem ein kommunales Problem.

Was können die Ursachen der Verdrängungen sein?

Die Verdrängung der vorhandenen Bevölkerung aus ihrem Gebiet kann durch den Zuzug neuer BewohnerInnen ins Gebiet ausgelöst werden. Dies sind in der Regel finanzkräftigere Menschen, die sich höhere Mieten und einen höheren Standard leisten können oder gezielt nachfragen. Oder sie suchen eine Eigentumswohnung, um diese selbst zu bewohnen.
Wohnquartiere, die im „allgemeinen Trend“ liegen, z.B. zentral gelegen sind und über ruhig gelegene Altbauwohnungen verfügen oder über günstige 50er / 60er Jahre Wohnungen, ziehen nicht nur betuchte MieterInnen an, sondern auch Investoren, die gering ausgestattete Wohnungen modernisieren und mit Gewinn vermieten oder verkaufen wollen. Hierdurch kommt ein Verdrängungsprozess in Gang. Ganze Häuser werden entmietet und für einen modernen Neubau abgerissen. Andere Wohnungen oder ganze Häuser werden luxusmodernisiert, zusammengelegt und teurer vermietet oder verkauft. Dies wirkt sich auf das Mietniveau aus und löst einen Modernisierungsdruck auch für die anderen Wohnungen aus. Die angestammten BewohnerInnen können die neuen Mieten nicht mehr zahlen und müssen in andere Ortsteile umziehen. Von Aufwertungsdruck betroffene „Kieze“ werden auch attraktiv für die Umwandlung von Wohnungen in Gewerbeeinheiten oder Ferienwohnungen. Auch hierdurch entsteht ein Druck auf die Mieten und MieterInnen.

Was kann mit einer sozialen Erhaltungsverordnung erreicht werden?

Einleitend sei klargestellt, dass mit der sozialen Erhaltungsverordnung kein Mieterschutz oder keine Begrenzungen der Mieten bzw. Mietsteigerungen erreicht werden kann. Sie ist kein wohnungspolitisches oder mietwirtschaftliches Instrument, sondern ein städtebauliches. Sie kann nur auf die baulichen Veränderungen von Wohnungen, den Abriss von Gebäuden mit Wohnungen und die Nutzungsänderungen Einfluss nehmen. Soweit bauliche Änderungen oder Nutzungsänderungen zu einem Verlust von (günstigem) Wohnraum bzw. zur Schaffung von höherpreisigem Wohnraum führen würden, können diese Maßnahmen versagt werden, weil sie sich in unerwünschter Weise städtebaulich auswirken.

Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Mieter/innen bzw. Eigentümer/innen?

Mit dem Erlass einer Erhaltungsverordnung werden der Rückbau (Abriss), die Änderung und die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage unter die Genehmigungspflicht gestellt. EigentümerInnen von Wohnbauten oder Wohnungen (hierbei ggf. auch MieterInnen) in den beiden sozialen Erhaltungsgebieten müssen diese baulichen Maßnahmen dann erhaltungsrechtlich beantragen und genehmigen lassen. Sofern eine Baugenehmigung erforderlich ist, erfolgt dies im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens.
Schon während des Aufstellungsverfahrens der Erhaltungsverordnung und vor ihrem endgültigen Erlass ergibt sich ein Prüferfordernis im Hinblick auf die Beurteilung des Verdrängungspotentials der in Betracht kommenden einzelnen baulichen Maßnahme. Es muss im Einzelfall eingeschätzt werden, ob eine Maßnahme den zukünftigen Zielen der Erhaltungsverordnung widerspricht. Daher besteht für die Behörde bereits nach dem gefassten Aufstellungsbeschluss (...und nach der 'ortsüblichen Bekanntmachung') die Möglichkeit gemäß § 15 (1) BauGB der Zurückstellung von Baugesuchen, bzw. der vorläufigen Untersagung bei genehmigungsfreigestellten Vorhaben. Voraussetzung für die Zurückstellung eines Baugesuches auf Grundlage des § 172 (2) in Verbindung mit § 15 (1) BauGB ist, dass ein Baugenehmigungsverfahren nach §§  64, 65 BauOBln stattfindet. Ist ein Vorhaben dagegen gemäß § 63 BauOBln genehmigungsfrei gestellt, so besteht ausschließlich die Möglichkeit der vorläufigen Untersagung gemäß § 15 (1) Satz 2 BauGB.
Diese Verfahren bis zur Festsetzung der Verordnung werden innerhalb der Behörde organisiert. Es muss vom Eigentümer kein zusätzlicher Antrag gemäß § 173 BauGB gestellt werden. Verfahrensfreie Vorhaben nach § 62 BauOBln können – mit Ausnahme des Abrisses größerer Gebäude – durchgeführt werden.

Welche Maßnahmen können dies sein?

Im Rahmen von weitergehenden Untersuchungen werden in den kommenden Monaten vom Stadtentwicklungsamt beauftragte Gutachter die konkrete Sozialstruktur aus städtebaulicher Sicht sowie mögliche städtebauliche Auswirkungen ermitteln. Hieraus lassen sich dann die Maßnahmen ableiten und formulieren, die den Zielen der sozialen Erhaltungsverordnung entgegenstehen. Sie können in den einzelnen Gebieten unterschiedlich sein. In Frage kommen neben dem Abriss von Wohngebäuden auch die Zusammenlegung von Wohnungen, die Änderung der Grundrisse, der Anbau zweiter Balkone sowie andere Ausstattungen zur Schaffung von Sonder- und Zusatzmerkmalen gemäß Mietspiegel. Aber auch die Nutzungsänderung von Wohnungen in gewerbliche Einheiten oder in Ferienwohnungen können voraussichtlich zu den genannten städtebaulichen Beeinträchtigungen führen.
Einschränkend ist jedoch zu erwähnen, dass die aufgeführten Maßnahmen genehmigt werden müssen, auch wenn das Allgemeinwohl dem entgegensteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Versagung der beantragten Maßnahme für den Eigentümer wirtschaftlich unzumutbar ist. Die Instandsetzung einer Wohnung und die Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungsstandards (z.B. Gegensprechanlage, Ersteinbau eines Bades oder einer modernen Heizung) sind hiervon unabhängig grundsätzlich zulässig.

Welche erhaltungspolitischen Ziele sollen mit der Erhaltungsverordnung erreicht werden?

Die MieterInnen müssen weder Abrisse ihrer Wohnbauten zugunsten von teuren Neubauten noch die Umwandlung ihrer oder benachbarter Wohnungen in Gewerbeeinheiten / Ferienwohnungen fürchten. Mietsteigerungen aufgrund von Luxusmodernisierungen im Gebiet, die sich auch mieterhöhend für die eigene Wohnung auswirken können, werden verhindert. Günstige Wohnungen bleiben im „Kiez“ erhalten. Eine Verdrängung der angestammten Bevölkerung wird vermieden. Die auf die Bewohnerschaft zugeschnittene Infrastruktur bleibt nachgefragt und erhalten.
Mietsteigerungen im gesetzlich zulässigen Rahmen bleiben davon jedoch unberührt, können also durch den Vermieter verlangt werden.

Ist auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verboten?

Aus bezirklicher Sicht wäre ein solches Umwandlungsverbot durchaus wünschenswert. Der Erlass einer sogenannten Umwandlungsverbotsverordnung ist grundsätzlich auch durch die Landesregierung für Gebiete mit sozialen Erhaltungsverordnungen möglich. Aktuell  ist nicht absehbar, ob und wann der Senat eine solche Verordnung erlässt.

Mit freundlichen Grüßen
Sibyll Klotz
Dr. Sibyll Klotz
Bezirksstadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung

- Hier finden Sie den Flyer zur Sozialen Erhaltungsordnung als Download zum Ausdrucken (PDF 118 kb).

text/grafik: BA Temp-Schön