Prostitution im Kiez – was sagt die Polizei?

Beschäftigt sich schon lange mit dem Thema: Ilona Phlippeau

Wie kann man die "bilateralen Beziehungen" von Nachbarschaft und Prostitution wieder auf ein erträgliches Niveau bringen? Frau Phlippeau erläutert die Dinge aus Sicht des Polizeiabschnitts 41 im Kiez.

Was beschäftigt Sie als Präventionsbeauftragte bei der Thematik Prostitution am meisten?
Ilona Phlippeau: „Die Prostitution an sich beschäftigt uns als Polizei ja nicht, weil sie erlaubt ist und die Frauen dort stehen dürfen. Aber wir haben natürlich auch Begleiterscheinungen. Was die Menschen vor Ort belastet, sind Lärm, Schmutz, viele Autos, vielleicht auch blöde Sprüche, die man von Freiern, die sich dort aufhalten, bekommt. Das sind Sachen, die sich in den letzten Jahren verändert haben, weil das eine viel größere Anzahl an Frauen ist, als es vorher war. Da muss man auch klar sagen, dass das eine belastende Situation für die Anwohner ist. Das kann man nicht weg reden, das ist nicht schön.“

Sie haben ja viel Kontakt zu den Frauen und den Frauenorganisationen. Wie sieht das denn aus deren Sicht aus?
IP: „Die Frauen sprechen wir nur direkt an, wenn wir Verstöße feststellen. Ich glaube, dass es oft so ist, dass durch die Sozialarbeiterinnen die Frauen nicht mehr so erreicht werden können wie früher. Die stehen unter einem anderen Druck, sie müssen Geld verdienen, Geld verdienen, Geld verdienen. Das Gespräch mit den Frauen ist immer möglich, aber ob es eine Verhaltensänderung gibt, ist eine andere Frage.
Dann kommt meistens noch dazu, dass die Frauen wechseln und immer wieder eine neue Ansprache erfolgen muss. Sie wissen nicht, ob sie z.B. aus Hamburg kommen. Dort ist es durch den Sperrbezirk ein anderes Arbeiten für die Frauen: Jeder, der dort lang kommt, ist ein potenzieller Kunde und wird angesprochen. Wenn ich z.B. in der Sprechstunde im „Olga“ bin, dann kommen Frauen da hoch, die am hellen Tag sehr spärlich bekleidet sind. Die Sozialarbeiterinnen sagen ‚Leute, so wie ihr ausseht, bitte geht nicht in die Kurmärkische, vor die Schulen oder die Kitas‘. Dann nicken die Frauen und sagen, ‚Jaja – wir haben ja selbst Kinder‘. Aber wenn der Druck auf der Straße zu groß wird und kein Platz da ist, irgendwo müssen sie ja stehen. Dann stehen sie eben auch wenig bekleidet vor der Kita.“

Haben sie positive Erfahrungswerte, wie man die Situation auf zwischenmenschlicher Ebene entspannen kann?
IP: „Politik und Polizei müssen auch auf die Anwohner hören – was sind deren subjektive Eindrücke und Ängste. Ich würd mir natürlich auch wünschen, dass die Anwohner auch ins Gespräch gehen. Die Frauen sind nicht alle aggressiv und ablehnend. Wenn man sagt ‚bitte vor der Tür hier nicht‘, kann das auch funktionieren.
Dort am Straßenstrich kann nicht einer alleine etwas erreichen, das geht nur zusammen. Die Gewerbetreibenden, die Einrichtungen, die mit den Frauen arbeiten, die Polizei – alle, die vor Ort sind. Wenn man da mehr aufeinander zu geht, dann wird auch die Situation einigermaßen erträglich. Es ist schwierig, es wird schwierig bleiben. Wir können oder wollen nicht die EU-Erweiterung zurückdrehen. Die Welt wird offener und ich glaube, wir müssen alle ein Stückchen weit lernen, neu damit umzugehen“.

Präventionsbeauftrager Rocco Röske vor dem Abschnitt 34

„…es ist ein fundamentaler Irrtum, hier Rechtsfreiheit zu vermuten“ - Rocco Röske, Präventionsbeauftragter des Abschnitts 34 zum Thema Nachbarschaft und Prostitution

Nachbarschaft und Prostitution – wie verträgt sich das miteinander?
Rocco Röske: „Das Gefühl von Teilen der Bevölkerung ist betroffen durch das Phänomen Prostitution an sich. Da spielen auch persönliche Wertvorstellungen eine Rolle. Was das Thema Sexualität angeht, reden wir über ein triebhaftes Verhalten. Das ist nicht die gepflegte Tasse Kaffee, sondern in jeder Form und Ausübung ein lebendiges Thema. Was nicht geht, ist, wenn aggressiv geworben wird. Wenn Leute angesprochen werden, auf eine Art und Weise, die beleidigenden Charakter hat, die sie aufhält oder nötigt, stehen zu bleiben, oder die mit einseitigem Körperkontakt einhergeht. Einer hat den anderen nicht absichtlich zu behindern. Das lassen die Regeln des öffentlichen Verkehrsraums, allen voran die StVO, nicht zu, im Gegenteil. Und diese Regeln gelten für alle.“

Wie ist es im Bereich von Häusern oder Wohnungen?
RR: „Es ist per se nicht unzulässig, dass sich Personen im Hausflur oder Treppenhaus aufhalten, wenn sie dort nicht wohnen. Da sollte man an die Hausverwaltung herantreten, um informelle und technische Lösungen verwenden, die den betreffenden Personen klar signalisieren: ‚In diesem Haus dürft Ihr Euch nicht aufhalten‘. Wenn diese Information als Willenserklärung des Hauseigentümers oder der Hausverwaltung am Hauseingang oder der Tür da ist, begehen Personen, die diese Verfügung missachten, einen Hausfriedensbruch. Dagegen kann rechtlich vorgegangen werden.“

Kann man sich in einem solchen Fall an die Polizei wenden?
RR: „Ja. Immer, wenn ich als Anwohner ein Bedrohungsgefühl habe, ist es völlig legitim, die Polizei zu alarmieren. Auch wenn es den Anschein erweckt, dass die Straßen im Kiez in ‚Wild-West-Manier‘ beherrscht werden, ist es ein fundamentaler Irrtum, hier polizeiliches Desinteresse oder Rechtsfreiheit zu vermuten. Dort, wo an sich legale Prostitution mit Straßenkriminalität einhergeht, hat das Abgeordnetenhaus Tiergarten-Süd als kriminalitätsbelasteten Ort eingestuft (ASOG Kriminalitätsbelastete Orte, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin). Das bedeutet, dass die Polizei mit zusätzlichen Instrumentarien zur Beobachtung und zum Eingreifen ausgestattet ist.“

Die Anwohner haben aber den Eindruck, dass keine Polizei vor Ort ist.
RR: „Das sehen die Vertreter der staatlich beauftragten Straßensozialarbeit gelegentlich anders. Wir sind durchaus häufig vor Ort, jedoch nicht immer präsent für alle Augen. Das würde die polizeiliche Arbeit behindern. Ich kenne die täglichen Anforderungen an die Polizei in Bezug auf kriminalitätsbelastete Orte gut. Wenn jemand sagt ‚Die Polizei macht da nichts‘, dann ist das nicht zutreffend.“

Das gilt dann auch für Übergriffe auf sich prostituierende Frauen seitens der Anwohner.
RR: „Es gilt das staatliche Gewaltmonopol, es gibt keine Selbstjustiz. Wenn jemand durch die konkrete Form der Prostitutionsausübung beeinträchtigt wird, kann er das jederzeit der Polizei mitteilen. Wenn allgemeine Kritik im Raum steht, ist das mitunter nicht ausreichend. Ich finde es grundsätzlich gut, wenn neben der professionellen Reaktion auf Rechtsbrüche im Umfeld von Prostitution auch die vorbeugenden Kommunikationswege weiterhin aktiv genutzt werden, z. B. zum Quartiersmanagement, zu den Trägern vor Ort oder zum polizeilichen Präventionsbeauftragten.“

- Wir haben diese Interviews der Kiezzeitung "mitteNdran" (Ausgabe 15 vom Mai 2014) entnommen - die ausführliche Fassung beider Interviews finden Sie online auf www.tiergarten-sued.de.

text/fotos: Kerstin Heinze - vielen Dank für die Genehmigung zum Übernehmen!