Offener Brief des Quartiersrats: Wohnungsräumungen ohne Gerichtsverfahren im Wohnhaus Grunewaldstraße 87, Schöneberg

Quartiersrat Schöneberger Norden
c/o Quartiersmanagement-Vor-Ort-Büro
Pallasstr. 5
10781 Berlin QR

Regierender Bürgermeister von Berlin
Herr Michael Müller
Senatskanzlei
Jüdenstr. 1
10178 Berlin


26.06.2015


OFFENER BRIEF
Wohnungsräumungen ohne Gerichtsverfahren im Wohnhaus Grunewaldstraße 87, Schöneberg

Sehr geehrter Herr Reg. Bürgermeister Müller,

wir wenden uns mit einem brisanten Problem an Sie und hoffen, dass auf diesem Weg eine Lösung gefunden werden kann. Es geht um das mittlerweile stadtweit bekannte Haus in der Grunewaldstr. 87, das seit dem Eigentümerwechsel Ende 2014 zum sozialen Brennpunkt geworden ist (lt. Medienberichten ca. 300 Polizeieinsätze).

Die neuen Mieter (Schätzungen liegen zwischen 100 und 200 Personen) sind Roma-Familien aus Rumänien und Bulgarien. Die Wohnungen befinden sich in katastrophalen Zuständen und die Lage droht zu eskalieren.

In diesem Zusammenhang wurde am 16. Juni eine öffentliche Anwohnerversammlung mit Beteiligung des Bezirksamtes, der zuständigen Fachämter und der Polizei durchgeführt. Der Eigentümer wurde von einem Anwalt vertreten, der auf alle Frage mit „Das weiß ich nicht, dazu kann ich nichts sagen“ geantwortet hat. Er war auch anwesend, als die Bezirksstadträtin Frau Dr. Klotz die Probleme bezüglich ihrer Handlungsfähigkeit erläutert und darauf hingewiesen hat, dass sie den betroffenen Mietern keine Ersatzwohnungen zur Verfügung stellen kann.

Was uns empört, sind die Ereignisse, die unmittelbar auf die Anwohnerversammlung folgten: Am letzten Wochenende wurden drei Roma-Familien ohne Gerichtsbeschluss von „Hausmeistern“ – unter Androhung von Gewalt aus den Wohnungen geworfen und sind jetzt obdachlos.

Betroffen sind:

  • Eine alleinerziehende Frau mit zwei Kindern (1 und 3 Jahre alt)
  • Ein Paar mit zwei Kindern (2 und 3 Jahre alt)
  • Ein Paar mit einem 6 Monate alten Baby

Diese Familien erhielten bereits Ablehnungen für eine Unterbringung in Notunterkünften vom Sozialamt (soziale Wohnungshilfe) und vom JobCenter, sie übernachten derzeit im PKW. Es besteht die Befürchtung, dass das Ordnungsamt das Auto beschlagnahmt und das Jugendamt die Kinder in Obhut nimmt.

Die Polizei konnte dieses rechtswidrige Vorgehen nicht verhindern – mit der Begründung, dass die Mietverhältnisse unklar sind: Mietverträge enthalten entweder keine genaue Lage der Wohnung oder es existiert kein schriftlicher Mietvertrag. Auch Mietverhältnisse ohne schriftliche Verträge sind rechtsgültig, verpflichten also den Vermieter zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften: im beschriebenen Fall zu einer Begründung der Kündigung des Vertrags – ggf. müsste die Räumung der Wohnung durch ein zuständiges Gericht erfolgen. In keinem Fall ist ein Hauswart berechtigt, Mieter kurzfristig unter Androhung von Gewalt aus den vermieteten Wohnungen zu werfen.

Es hat jedoch den Anschein, dass sich der Hauseigentümer in einem rechtsfreien Raum bewegen kann und die Polizei bzw. die zuständigen Behörden nur sehr eingeschränkt handlungsfähig sind.

Trotz unverschuldeter Obdachlosigkeit haben die betroffenen Familien keinen Anspruch auf staatliche Hilfeleistungen. Wir bitten Sie eindringlich um Unterstützung, damit die bereits obdachlosen Familien mit ihren kleinen Kindern in einer Notunterkunft untergebracht werden können. Darüber hinaus bitten wir Sie, dafür Sorge zu tragen, dass der Vermieter an weiteren menschenverachtenden, gesetzwidrigen Handlungen gehindert wird. Es wurde bereits weiteren Familien der Rausschmiss zum 01. Juli angedroht.

Wir arbeiten als Quartiersrat ehrenamtlich und engagiert zusammen mit dem Quartiersmanagement für das Förderprogramm „Soziale Stadt“. Wir können daher nicht ignorieren, was sich am Rande unserer Gebietskulisse abspielt. Wir wissen um die Unterbringungsprobleme der Zugewanderten und Flüchtlinge in Berlin, aber wenn mitten in unserer Stadt schutzbedürftige Familien aus einem EU-Mitgliedsland wie Müll auf die Straße geworfen werden, muss eine Notlösung diese Menschen retten.

Die NPD ist bereits in der Grunewaldstraße angekommen. Es bedarf nach unserer Einschätzung dringend eines politischen Konzeptes, damit insbesondere zugewanderte Familien aus Osteuropa den kriminellen Organisationen und rassistisch agierenden Parteien nicht schutzlos ausgeliefert sind und Ihnen das Recht auf Familien- und Kinderschutz nicht verwehrt wird.
Wir hoffen, dass Sie unser Hilferuf erreicht und Sie einen Weg finden, der diese unerträgliche Verletzung der Menschenrechte beenden kann.

Mit freundlichen Grüßen
Der Quartiersrat Schöneberger Norden

- Diesen Brief senden wir Herrn Innensenator Frank Henkel, Herrn Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel, Frau Integrationssenatorin Dilek Kolat, Frau Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und Frau Bezirksstadträtin Dr. Sibyll Klotz als Kopie zur Kenntnis

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