Nachbarschaft und Prostitution - Der Bessere möge gewinnen?

Traf den Nerv - der Veranstaltungsraum im HUZUR war gut besucht.

Der Saal des Nachbarschaftszentrums HUZUR war rappelvoll an diesem Dienstagabend, den 20. August 2013.
Die Informationsveranstaltung „Nachbarschaft und Prostitution" traf den Nerv und über 120 Gäste - Anwohner_Innen, lokale Einrichtungen, Interessierte und Politikvertreter_Innen aus Mitte - fanden sich ein, um gemeinsam mit den Präventionsbeauftragten der Polizei, Frau Phlippeau (Abschnitt 41) und Herrn Röske (Abschnitt 34) der Gebiete Tiergarten Süd und Schöneberg sowie dem Vertreter des Ordnungsamt Mitte, Harald Strehlow ins Gespräch zu kommen, wie man der Situation im Kiez begegnen kann.

Der Anspruch des Abends war, zu verstehen und zusammen Lösungsstrategien zu entwickeln. Der Kurfürstenkiez ist schon lange Rotlichtmilieu. Wer hier herzieht, weiß Bescheid. Wer hier lange ist, kennt die Situation seit vielen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten. Doch die Waagschale aus Toleranz und Berliner Laissez-Faire neigt sich zusehends. Die Zunahme von Prostitution v.a. durch südosteuropäische Frauen, verändert das Straßenbild. Man fühlt sich bedroht, bedrängt, der Kiez ist verschmutzt und die Nächte sind lauter geworden. Doch Polizei und Ordnungsamt haben hier wenig Spielraum, einzugreifen.

Dass ein Thema wie Prostitution und ihre Ausmaße für erregte Gemüter sorgt, ist vorhersehbar. Dennoch bahnte sich lang aufgestauter Frust einen Weg, konstruktive und sachliche Diskussion mit Vorwärts-orientierten Ansätzen kam kaum zu Wort. Der Ruf einiger Anwohner_Innen nach mehr Schutz, mehr Handeln und letztlich härterer Gangart der Ordnungshüter enthielt wenig Verständnis für die Situation der Frauen, die sich prostituieren müssen oder den Willen, sich gemeinsam an Alternativen zu wagen. Man fühlt sich im Stich gelassen, auch von Hausverwaltungen und Politik. Aber wie groß ist der rechtliche Spielraum tatsächlich? Wie sähe „Durchgreifen" als Szenario aus? Möchte man das wirklich? Denn das würde letztlich für alle gelten.

v.l.n.r.: Präventionsbeauftrager Röske, Hr. Strehlow, Leiter des Ordnungsamts Mitte, Moderatorin Christiane Howe

Rocco Röske, Präventionsbeauftragter des Polizeiabschnittes 34 gab zu bedenken, dass hier die Nachfrage das Angebot regle. Aber die Preise fallen und somit müssen die Frauen aggressiver auf sich aufmerksam machen, zum Leidwesen der Nachbarschaft. Zwischen 5,- und 20,- Euro, maximal 50,- bringt ein „Job“ mit sich, verdient werden müssen aber teils über 300,- Euro am Tag. Hard Work.
Dabei fällt „älteste Gewerbe der Welt" nicht unter die Gewerbeordnung, so Harald Strehlow, Leiter des Ordnungsamtes Mitte. Dennoch sind die Einnahmen steuerpflichtig, die Frauen zahlen diese auch. 

Prostitution allein ist nicht strafbar, auf der Straße darf sich aufgehalten werden. Zuhälterei hingegen fällt unter das Strafgesetz, wird jedoch von den Frauen nicht angezeigt. Zu groß die wirtschaftliche Abhängigkeit oder Angst, zu klein der Sprachschatz und Wissen, um Rechte.

Illona Phlippeau, Leiterin des Präventions-/Ermittlungsteams des Polizeiabschnittes 41 führt an:
„In ganz Berlin werden im Jahr ungefähr 340 Anzeigen wegen Zuhälterei und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung geführt. Das ist gar nichts. Diese Anzeigen kommen fast ausschließlich aus Bordellen. Ich habe in zehn Jahren in diesem Bereich keine einzige Anzeige vor Ort bekommen, dass jemand gesagt hat 'ich bin hier nicht freiwillig und werde gezwungen'. Wenn die Frauen gegenüber der Polizei nicht aussagen, warum auch immer - weil sie unter Druck sind oder ihre Familien unterstützen – sind es im Hintergrund die 'Männer'. Wir müssen nachweisen, dass sie Zuhälter sind. In den meisten Fällen geht das nicht."

Die Nachfrage regelt das Angebot.

Ansprechen, um ein besseres Verhältnis zu bekommen – einige Anwohner_Innen machen das.
I.Phlippeau: „Eine Verbesserung ergibt sich z.B. durch direkte Kommunikation. Dadurch erreicht man auch eine Verhaltensänderung. Aber die Frauen wechseln auch, die sind kurz hier, dann in Hamburg, Hannover, sonst wo. Die kriegen gar nicht mehr mit, wo sie überhaupt stehen." Das ist jedoch kein Grund, aufzugeben.

Rocco Röske: "Wenn ich mit Frauen hier aus dem Umfeld zu tun habe, die sich in aller Regel aus Armutsgründen prostituieren, funktioniert das ganz gut, wenn ich sie als Mensch trotzdem wertschätze. Wenn ich nicht oben drauf noch als Polizist komme und sage – 'was bist du für ein schlechter Mensch'. Dann haben die Frauen von mir auch nochmal einen Rucksack aufgesetzt bekommen, der es ihnen noch schwieriger macht, sich in einer komplizierten Lebenssituation überhaupt zurechtzufinden. Deswegen mein Angebot – lassen sie uns die Kommunikation pflegen, was die Präventionsmöglichkeiten anbelangt."

Berät Prostituierte im Frauentreff Olga: Präventionsbeauftragte Phlippeau

Fazit des Abends:
Nicht nur Prostitution ist Tradition im Kiez, sondern auch Kreativität und Kommunikation. Die sind schon immer gefragt, möchte man (globalen) Tendenzen von Armut, Respektlosigkeit und Verrohung der Gesellschaft entgegenwirken. Denn um Respekt geht es - auf beiden Seiten. Denn wie soll man Wertschätzung (z.B. der persönlichen Güter) erreichen, wenn man selbst nicht willens ist, zu respektieren. Dabei muss man nicht alleine bleiben. Überlegen Sie doch z.B. als Hausgemeinschaft, was man tun kann, gemeinsam mit Verwaltung und ggf. Polizei. Verschönerte Vorgartenmauern, zusammen auf die abendlich verschlossene Eingangstür achten, Mülleimer für „den Rest vom Schützenfest", übersetzte Hinweisschilder oder vielleicht eine heiße Tasse Kaffee können helfen, denn der Winter ist im Anmarsch und ein Tag auf der Straße lang und kalt.

Das Projekt „Nachbarschaft und Prostitution" wird seit mehreren Jahren von den Quartiersmanagements Tiergarten-Süd und Schöneberger Norden sowie den Bezirken Tiergarten- Mitte und Tempelhof-Schöneberg unterstützt. Durchgeführt wird das Projekt von Gerhard Haug, Rolf Hemmerich und Christiane Howe, die auch die Veranstaltung am 20.08.2013 moderierte.


Beratung für Prostitutierte:
Frauentreff OLGA ( Kontaktladen für drogenabhängige und sich prostituierende Frauen)
Öffnungszeiten: Di 18:00 – 22:00, Mi-Fr: 16:00 – 22:00 Uhr, Rechtsberatung jeden 01. Und 02. Mittwoch, Kurfürstenstraße 40, 10785 Berlin, Telefon: (030) 262 89 59, olga[at]notdienstberlin[.]de

Hydra e.V.  – Beratung für Prostituierte (Beratung nach Anmeldung)
Öffnungszeiten:  neu ab 01.09.13 - Montag und Dienstag von 10 bis 15 Uhr, Donnerstag von 16 bis 20 Uhr, Kontakt: Tel: 030 / 611 00 23 oder Email an: kontakt[at]hydra-ev[.]org

Team BP Streetwork an Brennpunkten gangway e.V.
Schumannstr. 5 10117 Berlin streetworkBP[at]gangway[.]de

Information über Prostitution (Was ist erlaubt, was nicht):
http://www.berlin.de/ba-mitte/org/gleichstellungsbeauftragte/prostitution.html

Reaktionen
Artikel "Rückwärts die Kurfürstenstraße runter" auf quiez.de vom 21.08.2013

- Herzlichen Dank an Kerstin Heinze aus der Internetredaktion des Nachbar-QM-Gebiets tiergarten-sued.de für die Genehmigung zur Übernahme dieses Beitrags!

Bild/Text: Kerstin Heinze