Steht auf, tut was! - Projekte in QM-Gebieten von Mittelkürzungen bedroht

Berliner Quartiersräte, Anwohner, Ehrenamtliche, Projekte und Quartiersmanager wollen sich gegen Kürzungen bei der "Sozialen Stadt" wehren

Wir müssen gemeinsam gegen die geplanten Kürzungen aktiv werden - darin waren sich alle einig

Am 21. September 2010 trafen sich Berliner Quartiersbewohner, Ehrenamtliche, Quartiersräte und Projekte mit Bundestagsabgeordneten, Quartiersmanagern und Verantwortlichen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Schöneberger Zwölf-Apostel-Gemeindezentrum.
Die gemeinsame Forderung: "Rettet die Soziale Stadt!".

Die Sprecher des Arbeitskreises der Berliner Quartiersmanager, Uli Lautenschläger und Theo Winters, beschrieben die dramatische Lage:
Am 27. Oktober werden die bundesweiten Spar-Vorschläge im Haushaltsausschuss beraten. Wenn Bundesbauminister Ramsauer tatsächlich die Hälfte der deutschen Städtebauförderung zusammen streicht, dann sieht es düster aus für die 34 Berliner "Soziale Stadt"-Quartiere, für hunderte Quartiersprojekte und nicht zuletzt für so wichtige Ziele wie Integration, Bildung und Ehrenamt.

Warum Berlin nicht auf diese Förderung verzichten kann

Projekte dank "Sozialer Stadt": die Stadtteilmütter...
... die Sprachstube Deutsch...
... oder auch die Bolzplatzliga

Warum Berlin nicht auf diese Förderung verzichten kann, erklärten anschließend drei Aktive aus den Quartieren.

Gharam Hannaoui ist eine zierliche Frau, dreifache Mutter und vierfache Großmutter. In ziemlich perfektem Deutsch erzählt die Libanesin von ihrer Arbeit als "Stadtteilmutter" in Neukölln. Bis zu zehn Mal in Folge besucht sie Einwandererfamilien, die ihre Beratung wünschen – in Sachen „Wie funktionieren die Dinge hier“ oder auch zu Möglichkeiten des Deutsch-Lernens und weiterer Bildungsangebote. Sie hätte sich solch eine Unterstützung  selbst gewünscht, sagt sie, als sie neu hier im Land war. Jetzt ist sie froh, anderen als Brückenbauerin helfen zu können.
Das Projekt "Stadtteilmütter" ist aus der Quartiersmanagement-Arbeit entstanden. Bereits 180 Frauen haben Schulungen erhalten, um anschließend Informationen und Angebote der frühkindlichen Förderung, Bildung, Gesundheit und Integration praxisnah und auf Augenhöhe an andere weiter zu vermitteln. Durch eine enge Kooperation mit dem JobCenter Neukölln ist es möglich, die Stadtteilmütter über geförderte Beschäftigungsmaßnahmen anzustellen; für sehr viele der Frauen ist dies der erste eigene Arbeitsvertrag, das erste selbst verdiente Einkommen.
Rund 3.600 Besuche sind die stolze Bilanz des preisgekrönten Integrationsprojektes.

Jona Vantard ist ein etwas schüchterner junger Mann von vielleicht 17 Jahren, der begeistert von seinen Erfahrungen im Projekt "Sprachstube Deutsch" erzählt. Er betreut als einer von vielen jugendlichen Sprachförderern deutscher und nichtdeutscher Herkunft ein Kind - „seines“ ist ein vierjähriger Jungen aus Angola - und freut sich über erste Fortschritte.
Doch wie bei vielen anderen Projekten haben auch bei der "Sprachstube Deutsch" nicht nur die Betreuten etwas vom Projekt: Hier erwerben Jugendliche erste pädagogische und interkulturelle Kompetenzen, und wer weiß - vielleicht macht das Jona ja so viel Spaß, dass er später einmal Lehrer oder Sozialarbeiter wird.

Einen Beruf hat Can Akca schon – er ist eigentlich Diplom-Kaufmann. Doch jetzt organisiert er die "Bolzplatzliga" in den drei Spandauer QM-Gebieten. Rund 500 Kinder und Jugendliche, vorwiegend mit Migrationshintergrund, haben den Weg von der Straße auf die Bolzplätze gefunden. Neben dem Sport lernen sie hier mit Konflikten umzugehen und Teamplayer zu werden.
Akca möchte gar nicht daran denken, was es bedeuten würde, wenn solche Projekte nun nicht mehr gefördert werden.

Fördermittel erhöhen statt streichen

Die Streichung von Fördermitteln hätte auch langfristig fatale Folgen, so die Meinung von Quartiersrats-Mitgliedern und Politiker/innen.


In den Berliner Quartieren der "Sozialen Stadt" werden hunderte solcher praktischen Maßnahmen umgesetzt, um Bildung, Chancengleichheit und Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Gewählte Quartiersräte - Anwohner/innen und Vertreter/innen von Initiativen -  entscheiden mit über den Einsatz der Fördermittel. Neben Projekten und Aktionen z.B. in den Bereichen Bildung, Kultur, Integration werden Spielplätze saniert oder öffentliche Räume so gestaltet, dass sie den schöner und besser nutzbar werden.

Wenn die Politiker es wirklich ernst meinten mit dem, was täglich in den Medien zu Bildung und Integration diskutiert wird, dann müssten die Fördermittel eigentlich aufgestockt statt gekürzt werden - nicht nur die anwesenden Bundestagsabgeordneten waren da einer Meinung.
Auch die Konferenz der Bundesbauminister mit ihrer Sprecherin, der Berliner Stadtentwicklungs-Senatorin Ingeborg Junge-Reyer, hat Ramsauers Sparpläne Anfang September einstimmig abgelehnt.

Frage an die Fachleute von der Politik: Gibt es Möglichkeiten, etwas zu bewirken?
Ja, wenn viele aktiv werden, bringt das was - darin waren sich (v.l.n.r.) Sven Dietrich (Linke), Swen Schulz (SPD) und Lisa Paus (Grüne) einig.

Lisa Paus, für die Grünen als stellvertretendes Mitglied im Bundes-Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung tätig, erklärte die Hintergründe der Sparankündigung: So seien alle Ministerien verpflichtet, Sparvorschläge zu machen. Das Bundesverkehrs- und Baumministerium habe sich scheinbar entschieden, teuren Verkehrsprojekten den Vorrang zu geben und lieber beim Städtebau zu kürzen.
Doch selbst in der CDU regt sich Widerstand dagegen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegener, der an diesem Abend leider verhindert war, hat sich beispielsweise für die "Soziale Stadt" ausgesprochen.

Gibt es denn überhaupt Möglichkeiten, auf die Sparentscheidung Einfluss zu nehmen?

Swen Schulz, SPD-Bundestagsabgeordneter und im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, empfahl den Anwesenden, direkten Einfluss auf die Parlamentarier zu nehmen. (Adressen finden Sie beim Bundestag oder auf der Seite abgeordnetenwatch.de.)
Der Bundestagsabgeordneter der Linken Sven Dietrich nannte als positives Beispiel Erfolge beim Wohngeldgesetz: Es wurde nachgebessert, nachdem die Opposition eine Anhörung erwirkt hatte.
Zumindest ein Teil der Kürzungen könnte zurückgenommen werden, so auch die Vermutung von Franziska Eichstätt-Bohlig, für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie schlug vor, dass lieber bei der Wohnungsbauprämie gespart werden solle.
Dem schloss sich Staatssekretärin Hella Dunger-Löper (SPD) an: Sie glaubt, dass einhelliger Protest nicht ohne Eindruck auf die Verantwortlichen bleibt und hofft auf eine Korrektur der Mittelkürzung.

Quartiersräte wollen aktiv werden

Unterschriftenlisten, Protestbriefe, Einladungen an Politiker oder Besuche öffentlicher Sitzungen: ...
... "Die Hütte brennt!" - lassen Sie uns gemeinsam etwas tun!


Die anwesenden Quartiersrät/innen hielten die Sparpläne für kontraproduktiv – die Folgekosten für die Gesellschaft wären viel höher, so ihre gemeinsame Einschätzung. Auch aus diesm Grund wollen die Quartiersrät/innen nicht darauf warten, dass die Kommunen ihre Probleme mit eigenen Mitteln lösen und mahnen, nicht auf die EU-Mittel zu verzichten, die in die Städtebauförderung einfließen. Sie hoffen natürlich, dass ihr bisheriges ehrenamtliches Engagement nicht umsonst war.

Deshalb wollen sie jetzt Offene Briefe formulieren, Unterschriften sammeln und Proteste organisieren. Gerne werden die Quartiersrät/innen Bauminister Ramsauer einladen oder ihn  selber besuchen, um ihm den sozialen, aber ebenso auch den marktwirtschaftlichen Wert der "Soziale Stadt"-Projekte ans Herz zu legen.

Der Arbeitskreis der Berliner Quartiermanager (AKQ) wird diese Aktionen unterstützen.
Aktiv werden müssen aber vor allem die Menschen in den Gebieten.

Bis zur Beratung im Haushaltsausschuss am 27.10. ist nicht mehr viel Zeit – also los!


- Wir werden geplante Aktionen, an denen Sie sich beteiligen können - ob von Menschen hier aus dem Quartier oder gebietsübergreifende Ideen - hier online bekannt geben.
Bitte melden Sie uns Mitmach-Angebote, damit wir sie veröffentlichen können - und schauen Sie immer mal wieder hier im Internet nach!

Text: Anne Wispler, Fotos: Susanne Wolkenhauer