Jüdisches Leben in Deutschland zwischen Exil und Holocaust - ein Bericht zum Besuch der HUZUR-Gruppe im Jüdischen Museum am 02.12.2013

Beeindruckt von Architektur und Geschichte: die Huzur-Gruppe im "Garten des Exils"

Am frühen Nachmittag des 02. Dezembers trafen wir von HUZUR uns am jüdischen Museum, um an einer Führung durchs Museum teil zu nehmen. Da das Museum unglaublich vielseitig ist und die lange deutsch-jüdische Geschichte behandelt, beschäftigten wir uns nur mit einem bestimmten Teil der Ausstellung, nämlich die Zeit von 1933-1945.
Unser Museumsführer Ufuk Topkara war früher lange im jüdischen Museum tätig und obwohl er mittlerweile anderweitig beschäftigt ist, erklärte er sich bereit, uns durch das Museum zu führen.

Als Erstes mussten wir eine lange Treppe aus dem Altbau des Museum hinunter steigen, um in den von Daniel Libeskind entworfenen Neubau zu kommen. Dort fiel uns sofort auf, dass unsere Wahrnehmung etwas beeinträchtigt wurde und das wir etwas unsicherer auf den Beinen standen. Der Grund dafür, wie Ufuk uns aufklärte, war der komplette Verzicht auf rechte Winkel in dem Bau. Dadurch wurde der lange Gang, den wir entlang liefen, schief und uneben. Mithilfe des Museumsplans konnte Ufuk uns dann die Intentionen näher bringen, die Libeskind zu dieser Konstruktion bewegt hatten. Wir befanden uns auf der „Achse der Kontinuität“, die in einer geraden Linie verlief. Doch es gab zwei Schnittpunkte dieser Achse, einmal mit der „Achse des Exils“ und einmal mit der „Achse des Holocaust“. Wir liefen zunächst die „Achse des Exils“ entlang und stellten fest, dass die unebene Architektur schon erste Wirkungen zeigte: Ein Mitglied unserer Gruppe musste sich kurz hinsetzen, um sich von der Unsicheren Position zu erholen und nicht umzukippen.

Die „Achse des Exils“ war auf beiden Seiten durchzogen von den Namen unterschiedlichster Orte. Von Shanghai bis Santiago de Chile waren alle Orte dabei, an denen sich Juden niederließen, nachdem sie aus Deutschland geflohen und ins Exil gegangen waren. Wir bekamen dadurch einen ersten Blick in die unglaublich komplexe und heterogene Geschichte des jüdischen Exils aus Deutschland während der NS-Zeit. Am Ende der Achse kamen wir in den „Garten des Exils“, durch den wir einige Minuten alleine laufen konnten. Der „Garten“ besteht aus 49 Betonpfeilern, auf denen sich oben ein paar kleine Sträucher befinden. Die gesamte Anlage steht erneut schief, und die Pfeiler sind so angewinkelt, dass unsere gesamte Wahrnehmung wieder auf die Probe gestellt wurde. Es machte sich ein generelles Unbehagen in der Gruppe breit, denn wir befanden uns nicht in einem klassischen „Garten“, sondern in einem unbehaglichen, leeren Raum. Herr Topkara erklärte uns, dass genau dieses Unbehagen die Erfahrung des Exils beschreiben soll. Trotz der neuen, ungewohnten Umstände stellten wir alle aber auch fest, dass wir in dem „Garten des Exils“ trotzdem noch frei atmen konnten und dass das natürliche Licht vom Himmel nicht gestört wurde. Es war ungemütlich, kalt und uneben, aber es war immerhin nicht komplett eingeschränkt.

Ganz anders war dagegen die „Achse des Holocaust“, die immer schmaler wurde und einem durch einen leichten konstanten Anstieg das Gefühl vermittelte, immer weiter von der Decke erdrückt zu werden. Die Wände zierten keine unterschiedlichen Städtenamen mehr, sondern Ortschaften, an denen Juden (systematisch) ermordet worden waren. Am Ende des Ganges standen wir schließlich eine schweren, schwarzen Tür gegenüber: Der Eingang zum „Holocaust Turm“. Wir betraten als Gruppe den Turm, der sich als ein schmaler Raum zusammenfassen lässt, der oben abgedichtet ist und somit nur durch einen winzigen Spalt minimales Licht einlässt. Ansonsten war es in dem Raum mit den hohen Decken eng, kalt, erdrückend und dunkel. Und überkam ein Gefühl der Hilflosigkeit, die durch die offensichtliche Ausweglosigkeit noch verstärkt wurde. Ufuk Topkara erklärte, dass diese beiden Achsen die beiden Erfahrungen der deutschen (und europäischen) Juden nach 1933 darstellten: Exil oder Holocaust.

Nach dieser Einführung in die Architektur und Intention des Neubaus von Daniel Libeskind begaben wir uns in einen der Ausstellungsräume zur jüdischen Geschichte zwischen 1933-1945. Aus Zeitgründen beschränkte sich Herr Topkara auf ein paar bestimmte Themen zu dieser Zeit: Zunächst erklärte er, in welchen Phasen die systematische Exklusion und spätere Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland und Europa vonstatten ging. An einem Foto aus dem Jahre 1932 konnten wir sehen, wie früh und mit welcher Wirkung die SA der Nationalsozialisten die ökonomische Exklusion der deutschen Juden vorantrieb. Auf dem Foto war eine Menschenmenge zu sehen, die antisemitische Poster und Plakate in die Höhe reckte. Ein SA Soldat versperrte zudem den Eingang zu dem Schuhgeschäft „Leiser“. Nach näherem Hinsehen erkannten wir als Gruppe dann auch, dass das Foto am Kudamm aufgenommen worden war – das Schuhgeschäft „Leiser“ steht auch heute noch an derselben Stelle. Herr Topkara beschrieb eindrucksvoll, mit welchem Erfolg die Einschüchterungen der Nationalsozialisten auf die deutsche Gesellschaft wirkten, und machte auch die Widersprüchlichkeit der Stereotypischen Feindbilder der Nazis klar, als er uns über die sogenannten „Kudamm-Krawalle“ aus dem Jahr 1932 aufklärte: Einen ganzen Tag lang waren SA-Männer den Kudamm auf und ab patrouilliert und jeden Menschen, den sie für jüdisch hielten, angegriffen. Allerdings stellte sich heraus, dass der Großteil der Opfer dieser Übergriffe gar keinen jüdischen Hintergrund hatte.

Abschließend zeigte uns Herr Topkara noch einen anonymen Brief, den ein/e NachbarIn an die geheime Staatspolizei geschickt hatte. In dem Brief wurde eine Bewohnerin des Hauses mit antisemitischen Klischees beschimpft und verraten. Herr Topkara erklärte, dass dieser Brief zu der Festnahme und Deportation der jüdischen Nachbarin und von 50 Helfern geführt hatte. Wir bekamen dadurch einen Eindruck von der Rolle der deutschen Gesellschaft, die den Aufstieg der Nationalsozialisten nicht nur ermöglichte, sondern tatkräftig unterstützte und dadurch auch die Gräueltaten aufrechterhielt.

Der Ausflug ins jüdische Museum war sehr lehrreich und zugleich hoch interessant. Wir bekamen nicht nur einen Einblick in einen kleinen Abschnitt der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern auch eine Einführung in die architektonischen Hintergründe und die sinnliche Wahrnehmung der Erfahrungswelten jüdischen Lebens in Deutschland. Herr Topkara ging auf ganz konkrete Momente der Geschichte ein,  anstatt uns mit vielen Zahlen und Statistiken zu überhäufen. Dadurch bekamen wir einen viel tieferen Einblick in die verschiedenen Phasen der deutsch-jüdischen Geschichte zwischen 1933-1945 und die komplexen, heterogenen Erfahrungen der in Deutschland lebenden Juden während der NS-Zeit.

An dem Besuch beteiligten sich 18 Menschen unterschiedlichster Herkunft. Selbst Herr Topkara, der vor einigen Jahren schon einmal eine HUZUR-Gruppe durch das Museum geführt hatte, bemerkte dass HUZUR noch vielseitiger geworden sei. Neben Menschen mit  einem deutschen Hintergrund beteiligten sich auch welche mit einem spanischen, syrischen und polnischen Hintergrund an dem Ausflug. Wir waren so angetan von Herrn Topkara und seiner wunderbaren Führung durch das Museum, dass die Gruppe ihn gleich im Anschluss an den Ausflug zu HUZUR einlud, um sich weiter über das jüdische Leben in Berlin und Deutschland zu unterhalten und auszutauschen. Herr Topkara wird HUZUR nun im Januar besuchen, worüber die ganze Gruppe hoch erfreut ist und sich schon jetzt freut.    

- Der Besuch des Jüdischen Museums wurde Dank der finanziellen Unterstützung mit Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt über das Quartiersmanagement Schöneberger Norden ermöglicht.

Rückmeldungen auf den Beitrag

21. Januar 2013

Liebe Frau Aktaş,
herzlichen Dank für den Bericht über Ihren Besuch im Museum. Das ist zwar schon eine Weile her, aber gestern abend (wie immer sehr spät) kam ein Bericht über jüdische Familien, die sich zwischen 1943 und 1945 in einer Höhle in der Ukraine vor den Deutschen und ihren ukrainischen Helfern versteckt hatten - sehr dramatisch und aufwühlend. Deshalb fiel mir Ihre Mail wieder ein. Es ist sehr begrüßenswert, wenn sich Organisationen wie Huzur mit diesem Teil der deutschen Geschichte beschäftigen, die ja mittlerweile auch ihre Geschichte ist.

Ich wünsche Ihnen und allen Mitstreiterinnen von Huzur ein gesundes, erlebnisreiches und harmonisches Jahr 2014.

Mit freundlichen Grüßen
 
Bernd Szczepanski
Bezirksstadtrat
 
Bezirksamt Neukölln von Berlin
Abteilung Soziales - Soz Dez


Mittwoch, 11. Dezember 2013


Liebe Gülsen,
vielen Dank für den ausführlichen Bericht, der mich sehr beeindruckt hat. Euch gelingt es immer wieder Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen zu bringen und Ihnen Themen der deutschen Geschichte näher zu bringen!!!!
Besonders toll finde ich, dass Herr Topkara im Januar den Nachbarschaftstreffpunkt besuchen wird, um das Thema zu vertiefen.
Ich hoffe, dass ihr auch im nächsten Jahr wieder Mittel erhalten werdet, um derartige Ausflüge planen und durchführen zu können.

Herzlichen Gruß
Christiane Ströhl
Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin
Abteilung Soziales
Seniorenarbeit


Montag, 9. Dezember 2013

Von Ihrem Bericht über Ihren  Besuch des Jüdischen Museums bin ich sehr begeistert. Herzlichen Dank, das Sie auch an mich diese Beschreibung gesendet haben! Noch in dieser Woche ziehe ich nach Berlin um und freue mich schon sehr, auch mal wieder bei HUZUR dabei sein zu können.

Mit herzlichem Gruß  
Barbara Schulinus

text: Tenzin Sekhon; foto: Bertram von Boxberg