HALT! HIER REDEN DIE STEINE! - Huzur-Seniorinnen zu Besuch bei der Ausstellungseröffnung im Rathaus Schöneberg
Wer seit 1996 in Berlin lebt, Berlin erlebt oder Berlin belebt, weiß von ihrer Existenz.
Wer nicht danach sucht, findet sie, wer von ihnen weiß, meidet es, auf ihnen zu gehen.
Manchmal einsam, oft in Gruppen, eingereiht im Meer grauer Pflastersteine, übersehbar klein, nur 10x10 cm groß mit einer Messingoberfläche - das sind die "Stolpersteine".
Eingraviert ein Name, eingraviert der Tag der Geburt, eingebrannt der Tag, der das grausame Ende - den Ort des Schreckens benennt.
Wer sucht, findet sie an jenen Wohnorten eingelassen, an denen Berlinerinnen und Berliner aus ihren Wohnungen gewaltsam gerissen wurden, um ein menschenunwürdigeres Dasein zu fristen, um einen grauenvollen Tod zu sterben.
Wen die erste Begegnung mit diesen Steinen berührt, der kann nie wieder achtlos an ihnen vorbei gehen. Ein kleiner Stein mit großer Wirkung.
Wahrlich ein Mahnmal der etwas anderen Art.
Entworfen und erdacht wurden die Stolpersteine von dem 1947 in Berlin geborenen Bildhauer Gunter Demnig in Zusammenarbeit mit der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Sein Anliegen war es, die Erinnerung an die Ermordeten an jenen Ort zurückzubringen, an denen sie lebten, als der Nationalsozialismus sie stigmatisierte und verfolgte.
Dabei versteht er sie nicht als Grabsteine, die Stolpersteine sollen betreten werden, damit ihre metallische Oberfläche blank bleibt. Das Opfer erhält seinen Namen und ein Stück Identität zurück- dabei ist jeder persönliche Stein auch als Symbol für die Gesamtheit der Opfer gemeint. So entwickelte Demnig die Idee der Schaffung eines "dezentralen Monuments".
Was in Köln im Jahre 1995 begann, setzte sich 1996 mit der Setzung der ersten 51 Stolpersteinen in der Oranienstraße in Berlin fort. Heute erinnern in 130 Orten Deutschlands Stolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus.
Eigens zu diesem Anlass haben das Jugendprojekt Jugendhilfe e.V. und das Intergrationszentrums Harmonie e.V. zu einer Fotoausstellung mit dem Titel "Halt! Hier Reden die Steine" ins Schöneberger Rathaus geladen. Schirmherrin ist die bezirkliche Intergrationsbeauftragte Frau GünTank.
Zur Eröffnungsfeier am 09. Dezember 2008 kamen zahlreiche Besucherinnen und Besucher. Die Ausstellung wurde durchden Bürgermeisters von Tempelhof - Schöneberg, Herrn Ekkehard Band, und Frau Angelika Schöttler, Stadträtin für Familie, Jugend, Quartiersmanagement und Sport, eröffnet, weitere Vertreter/innen aus Bezirks- und Bundespolitik gaben sich anlässlich der Vernissage die Ehre.
Voller Neugier und teils auch mit Trauer betrachteten die Anwesenden - unter ihnen befanden sich auch Seniorinnen mit Migrationshintergrund aus der Seniorenfreizeitstätte HUZUR - die Ausstellung und hörten den Reden und Berichten zu.
Besonders gerührt waren die HUZUR Damen von Frau Friedländer.Ihre schmerzhafte und traurige Lebensgeschichte, eine von vielen der damals Depotierten und Ermordeten. Auch wenn einige der Seniorinnen der deutschen Sprache nicht allzu mächtig sind, erreichte jedes der Worte, die Frau Friedländer zu den Ausstellungsbesuchern sprach, nicht nur ihr Gehör, sondern auch ihre Herzen.
Vielleicht war dieses Mitempfinden durch die Tatsache geprägt, dass viele der anwesenden Seniorinnen dasselbe Alter haben wie Frau Friedländer. Oder aber auch weil die Frauen, selbst wenn sie nicht einmal einen Bruchteil des Hasses, der Diskriminierung, der Demütigung, des Rassismus erlebt haben, der Frau Friedländer und ihrer Familie in Nazi-Deutschland ausgesetzt waren, dennoch bedauerlicherweise die Angst und die Wucht dieses Hasses mindestens im Ansatz nachempfinden können.
Jede der Frauen kann heute von mindestens einer Begegnung berichten, an denen ihr Diskriminierung und Rassismus allein durch die Tatsache ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit in Deutschland leider wiederfahren ist.
Aufklärende Projekte wie dieses sind wichtig und unverzichtbar in der Arbeit gegen das Vergessen von Greultaten, gegen Rassismus und Antisemitismus. Sie ermöglichen es Menschen, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu sensibilisieren. Dies erweist sich als umso unverzichtbarer, zumal sich der Neo-Nationalismus heute gerade in und um Osteuropa herum immer intensiver zu formen versucht.
Um dieses Projekt zu unterstützen, hat sich die Seniorenfreizeitstätte HUZUR entschlossen, Patin eines Stolpersteines zu werden. So hat Gülsen Aktas, Leiterin der Seniorenfreizeitstätte, bereits erste Kontakte mit Familienangehörigen der Familie Jakobsohn in New York aufgenommen, für die Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung der Familie von Zena Jacobsohn.
Interessenten an einer Patenschaft können Informationen bei der Koordinierungsstelle "Stollpersteine" für Berlin unter der Telefonnummer 030/26 39 89 014 einholen.
Bericht und Fotos: Özlem Topuz