Emotionsgeladene Eröffnung der Bürgerausstellung „Nachbarschaft und Prostitution“

Interessante Statements auf den Ausstellungstafeln (in der Mitte Frau Demirbüken-Wegner und Frau Schöttler)

Die Straßenprostitution rund um die Kurfürstenstraße ist und bleibt ein emotionsgeladenes Thema – das zeigte sich einmal mehr bei der Eröffnung der Bürgerausstellung „Nachbarschaft und Prostitution“ am 23. August 2012 im Nachbarschaftstreffpunkt Huzur.
Rappelvoll war der große Saal, gekommen waren viele Anwohner/innen und Gewerbetreibende, Bezirkspolitiker/innen der beiden ansässigen Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Mitte, Vertreter/innen aus Einrichtungen und Initiativen und von den beiden QM-Teams.
Auf dem Podium saßen Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Emine Demirbüken-Wegner, Staatssekretärin für Gesundheit, und aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg Bürgermeisterin Angelika Schöttler und die Stadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung Dr. Sibyll Klotz. Mittes Bürgermeister Dr. Christian Hanke wäre gerne gekommen, musste sich aber per Grußwort vertreten lassen.

Möglichkeit zum Lesen ...
... und zu Gesprächen vor der Podiumsdiskussion

Vor der eigentlichen Diskussionsrunde blieb genügend Zeit, sich die zwanzig großformatigen Ausstellungstafeln anzusehen:
Menschen aus dem Kiez, Anwohner/innen, Gewerbetreibende und Leute aus ansässigen Einrichtungen stellen dort ihre Einstellung, ihre Probleme, aber auch Lösungsmöglichkeiten für das Geschehen auf dem Strich dar.

Darunter finden sich durchaus überraschende Vorschläge: Man könne doch in die neu entstehende Wohnanlage an der Flottwellstraße gleich ein Bordell integrieren. Ein kommunales gut gepflegtes Bordell aufmachen oder Verrichtungsboxen aufstellen. Über Sperrzeiten wird da nachgedacht, oder über andere gesetzliche Veränderungen. Darüber, wie die vorhandenen gesetzlichen Mittel sozialverträglicher nutzbar sind. Und davon, dass sich die Lage vor Ort geändert hat – durch die aggressiver werbenden Frauen aus Osteuropa und dadurch, dass die früheren Vollzugsplätze nach und nach weggefallen sind und sich die Prostitution nun in allen Facetten am Straßenrand abspielt.

Anwohner/innen stellten ihre Sicht der Lage vor Ort dar

„Diese Situation, dieser Kaffeekranz hier macht mich irre!“ - Gleich mit dem ersten Wortbeitrag machte eine Anwohnerin die Probleme der vor Ort Wohnenden ganz klar: Nichts habe sich trotz all der schönen Reden in den vergangenen Jahren geändert, im Gegenteil, die Situation sei schlimmer geworden. Zusätzlich müsse man sich ja schämen und bekäme schon einen Touch von Frauenfeindlichkeit und Rassismus angehängt, wenn man etwas gerade gegen die aggressiv auftretenden osteuropäischen Prostituierten sage – die noch dazu mehr als zuvor unter ihren Zuhältern zu leiden hätten.

Mehrere Nachbarn und Nachbarinnen bestätigten diese Meinung. Vor allem, das kam immer wieder klar heraus, leiden sie unter der Lärmbelästigung: „Jedes Kaffee, jede Kneipe muss ab 22 Uhr Vorschriften einhalten. Hier geht das mit dem Autolärm und Geschrei bis halb sechs in der Früh – tun Sie endlich was, sonst bleibt uns nur noch wegzuziehen!“ Da müssten sich doch zumindest Sperrzeiten einrichten lassen, so gehe es einfach nicht weiter.

„Wann kommt mal ein Anwohnerschutzgesetz, anstatt immer nur Geld in Sozialarbeit für die Prostituierten zu stecken?“ wollte ein anderer wissen. „Auch wir müssen doch hier leben können, wo bleiben die Maßnahmen und auch die Mittel, um uns mal zu helfen?“

Auch für die Gewerbetreibenden ist die Lage schwierig, so Herr Türklitz von Möbel Hübner

Auch aus Sicht der Gewerbetreibenden ist die Lage schwierig: „Unsere Kunden sprechen uns regelmäßig auf die Situation vor der Ladentür an“, so Herr Türklitz, Geschäftsführer von Möbel Hübner. Angestellte seien aus dem Kiez weggezogen, andere Händler gäben auf. Die Umgebung habe zu leiden, Arbeitsplätze seien bedroht, die Verhältnismäßigkeit im Umgang mit dem Straßenstrich gehe verloren. „Ich wünsche mir Verantwortung von Bezirk und Senat, Sie können etwas ändern“, so Türklitz´ dringender Appell in Richtung Podium.

Mutig: Transvestit am Mikro

So aufgewühlt war die Stimmung, dass auch aus dem Publikum Appelle kamen, doch bitte nicht in Richtung Bürgerwehr zu tendieren und „die Keule rauszuholen“. Besser solle man gemeinsam genau hinzugucken, um einen toleranten Umgang miteinander hinzubekommen.
Doch die Stimmung ließ sich nicht so einfach auf ein sachliches Niveau bringen: „Sie können gern mal 'ne Nacht bei mir übernachten, dann kriegen Sie das selber mit. Sollen wir die denn umbringen, damit nachts Ruhe ist?!“ brachte eine Frau die Hilflosigkeit vor Ort überspitzt auf den Punkt. Männer bestätigten, dass sie nicht ohne mehrfache Belästigungen über die Straße gehen könne. „Na, denn reden Sie doch mit uns!“ - so konterte eine Prostituierte, die sich traute, auch öffentlich zum Mikrofon zu greifen.

"... seitdem reden die nicht mehr mit mir" - auch solche Erfahrungen gibt es

Ein Problem seien sicher die fehlenden „Vollzugsorte“ - vielleicht könnte man ja mehr City-Toiletten aufstellen, so ein Anwohner. Da habe er zwar wenig Einfluss, aber für einen Papierkorb – zum Wegwerfen von Taschentüchern und gebrauchten Kondomen – würde er zum Beispiel gerne Pate. Und er berichtete von seinem privaten Lösungsansatz: Jeden Tag fünfmal auf dem Arbeitsweg angesprochen zu werden – das sei tatsächlich so und irgendwann einfach zu lästig geworden. „Da bin ich zu jeder der fünf Damen einzeln hin und hab erklärt, dass ich da hinten wohne, da drüben arbeite und mit meiner Frau glücklich bin. Ich brauche also keine Sex auf der Straße, sie möchten mich doch bitte einfach in Ruhe lassen.“ Die Wirkung sei durchschlagend gewesen, was selbst das Publikum im Saal zum Schmunzeln brachte: „Seitdem reden die nicht mehr mit mir.“

Frau Demirbüken-Wegner, Frau Kolat, Frau Klotz und Frau Schöttler versuchen auf Lösungsansätze hin zu leiten

„Weg von den Problemen, hin zu Lösungsansätzen“ - darum baten die vier Frauen vom Podium mehrfach.
„Die Ausstellung gibt doch auch Impulse für Lösungen – wir sollten diskutieren, was sinnvoll ist und unterstützt werden soll“, so Stadträtin Klotz. „Und, um auch diesen Aspekt mit in die Diskussion zu bringen: Es gibt die Frauen am Strich, weil es die Männer gibt, die sie aufsuchen. Auch an die müssen wir ran. Freierarbeit, und sei es ein 'Knigge für Freier', gehört ebenso dazu.“
Allerdings seien Vorschläge auf bezirklicher Ebene oft nicht umzusetzen – ebenso, wie ein Straßenstrich, der seit mehr als hundert Jahren bestehe und weit über Berlin hinaus bekannt sei, eben keine lokale Bezirks-, sondern eine gesamtstädtische Angelegenheit sei.
Neben den Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten seien auch die Geldmittel, die den beiden Bezirken zur Verfügung stünden, ein Problem, so Klotz: Sie reichten beileibe nicht aus, um Folgen der Prostitution vor Ort verträglicher zu machen.

Frau Kolat und Frau Demirbüken-Wegner sprechen sich für weitere Zusammenarbeit aus

„Wenn hier die letzten Jahre nichts passiert wäre, sähe es wahrscheinlich noch ganz anders aus“, bezog sich Frau Schöttler unter anderem auf die Sozialarbeit der Sprachmittlerinnen. „Wir müssen uns weiter intensiv kümmern, auf Bezirks- und Landesebene“, stetige kleine Schritte seien nötig.
Frau Demirbüken-Wegner plädierte für eine weitere Runde, um Lösungsvorschläge zu diskutieren: Piktogramme, die sprachunabhängig lesbar seien, überwachte Vollzugsorte, Aufklärung – vieles sei ja auf den Ausstellungstafeln angesprochen. Gerade für den Gesundheitsbereich flössen schon Senatsmittel in den Kiez, die auch zukünftig nicht gekürzt werden sollen; die Zusammenarbeit solle weiter gehen.
Sozialsenatorin Kolat sprach sich für einen aktiven Umgang vor Ort aus, man solle Regeln aufschreiben und in den Dialog treten. Auch sie sah die gesamtstädtischen Fragestellungen, zu denen man sich – so Anregungen aus dem Publikum und auch eine dringende Bitte von Frau Klotz - zusammenfinden könne. Um die Lage selbst besser einschätzen zu können, sagte sie einen Abend-Besuch im Kiez zu.

Ab jetzt ist die Bürgerausstellung open air unterwegs (hier in der Pohlstraße am 1. September)

Die Möglichkeit, nach der Diskussion noch kurz direkt mit den Politikerinnen zu reden, nahmen mehrere Gäste gerne wahr. Andere schauten sich nochmal genauer die Ausstellungstafeln an oder griffen zum Ausstellungs-Flyer - mit einem durch die Diskussion teils etwas anderem Blick als zuvor.

Nach ihrem Start bei Huzur geht die Bürgerausstellung „Nachbarschaft und Prostitution“ auf Tour durch die Gegend rund um die Kurfürstenstraße – hier finden Sie die Orte und Zeiten, an denen Sie sich die Statements zum Straßenstrich ansehen können.
Sowohl bei diesen Ausstellungen am Straßenrand als auch online können Sie weitere Anregungen geben – nutzen Sie die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen.

text/fotos: S. Wolkenhauer