"Ohne Ausbildung oder Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis?" - Diskussion im PallasT am 12. November 2008 u.a. mit der Senatsverwaltung für Inneres und dem JobCenter Tempelhof-Schöneberg (2008)

Der Zusammenhang von Aufenthaltsrecht und Schulabschluss, oder: Wie realistisch ist die Gefahr, ohne Schulabschluss und Arbeit abgeschoben zu werden? - Rückblick auf die Podiumsdiskussion vom 12. November 2008 im PallasT, Schöneberger Norden.

„Wer zu dumm oder zu faul ist, zumindest einen Hauptschulabschluss hinzukriegen und so die Chance auf eine Berufslaufbahn zu verbessern, den wollen wir hier nicht als ewigen Hartz-Vierer haben!" - das oder Ähnliches mögen sich einige Verantwortliche in der Senatsverwaltung für Inneres Anfang 2008 gedacht haben:
Seit dem 14. März gilt eine Verschärfung der Verwaltungsvorschriften über die Erteilung einer dauerhafen „Niederlassungserlaubnis" oder überhaupt über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts für die jungen Ausländer, die in Deutschland aufgewachsen und volljährig geworden sind.

Berlin fährt nun in Sachen „Aufenthaltsverlängerung von Jugendlichen ohne Schulabschluss und Arbeit" eine harte Linie.
Wer aus einer Familie mit Migrationshintergrund kommt, noch kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt und sich an seinem 18. Geburtstag weder in Ausbildung befindet noch selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, den erwartet eine böse Überraschung auf dem Gabentisch - er oder sie kann nun von Abschiebung bedroht sein.

Aufmerksam zuhörendes Publikum

„Für viele kommt das völlig überraschend", so die Erfahrung von Pat Flatau, Leiter der Projekts FAIR, bei der Podiumsdiskussion zum Thema am 12. November 2008 im PallasT vor etwa fünfzig Zuhörerinnen und Zuhörern. Er kümmert sich mit seinen Mitarbeiter/innen und in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter um genau die, mit denen die Arbeitsvermittler „nichts anfangen können" - Jugendliche, die ohne Abschluss aus dem Raster fallen und quasi nicht vermittelbar sind.
Sie dazu zu bringen sich anzustrengen, an sich zu glauben, Pläne für das eigene Leben zu machen und hart an diesen Plänen zu arbeiten: das ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ohne familiäre Vorbilder und oft ohne eine ruhige Ecke zum Lernen im beengten Zuhause nicht einfach.

Eine Erfahrung, die auch Safter Cinar vom türkischen Bund Berlin-Brandenburg gemacht hat und die er gemeinsam mit Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin um Erfahrungen bei der Ausländerbehörde ergänzt: Wenn jemand nur schlechte Noten nachweisen kann oder zu viele Fehlzeiten hatte, wird nicht angenommen, dass er sich ernsthaft um einen staatlich anerkannten Schulabschluss oder um Ausbildung bemüht. Ein Grund, den Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) abzulehnen.

Hier wird sogar die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Frage gestellt. Anstatt dessen kriegen die jungen Menschen ohne deutschen Pass nur noch „einen Wisch", eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, die meist nur sechs Monate Gültigkeit besitzt. Auch Bewerbungsschreiben müssen der Behörde vorgelegt werden oder Belege für eine Fortbildung - die das Arbeitsamt oft wegen der nur sechs Monate gültigen Fiktionsbescheinigung nicht bewilligt. Parallel gibt es Probleme beim Hartz IV-Antrag selbst, weil der Antragsteller ja keine Sozialleistungen beziehen darf.

Podiumsmitglieder beantworten Fragen der Zuhörer/innen

Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin kritisierte die politische Entscheidung der rot-roten Landesregierung, die hinter den ausländerrechtlichen Verwaltungsvorschriften steht. Er bemängelt insbesondere das Versagen des Bildungssystems und das Abstrafen ausländischer Jugendlicher für das Versagen deutscher Behörden.
Berlin hat mit den durch die von der Ausländerbehörde durchzuführenden Leistungskontrollen ausländerrechtliche Verwaltungsvorschriften geschaffen, die als pädagogische Maßnahmen dienen sollen.
Derzeit wird eine Gesetzesänderung für das Sozialgesetzbuch verabschiedet, so die positive Nachricht von Herrn Zausch, Migrationsbeauftragter des JobCenters Tempelhof-Schöneberg: Das Recht auf Ausbildung wird gesetzlich verankert; ein großer Fortschritt für alle, die demnach den Anspruch haben, zumindest ihren Hauptschulabschluss nachzuholen, wenn nötig auch mit mehrfachem Anlauf - sofern sie sich ernsthaft darum bemühen.

Und das sei ja nun wirklich nicht so schwer, so Herr Hampel von der Senatsverwaltung für Inneres: sein Aufenthaltsrecht riskieren werde nur „der Totalversager". Außerdem sei die Entscheidung über Hierbleiben oder Abschieben eine Kann-Bestimmung - neben dem Ausbildungsstand oder dem Bemühen um Ausbildung sei die Sicherung des Lebensunterhalts ein wichtiger Faktor.

Herr Cinar verwies auf die unterschiedliche Behandlung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund: Deutsche Jugendliche würden gegebenenfalls zum sozialspsychatrischen Dienst geschickt, das Jugendamt kümmere sich um die Verhältnisse zuhause, Förderung käme von allen möglichen Seiten - nicht so bei den Migranten, denen zusätzlich der Entzug der Aufenthaltsgenehmigung drohe. Resultat sei ein tiefes Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Und dieses wiederum Grundlage für weitere Probleme.

Ergebnisse konnte die Diskussion natürlich nicht bringen, trotzdem konnte das Publikum ein von verschiedenen Seiten beleuchtetes Bild über die Lage junger Menschen mit Migrationshintergrund mit nach Hause nehmen. Und bestimmt werden die Zuhörer/innen die nächsten Medienberichte zum Thema mit kritischem Interesse verfolgen.

Dank dem Bülow-Team, das für die Veranstaltung den Stuhlauf- und -abbau mit Hilfe von sogeannten "Hartz-Vierern" übernommen hat. Die waren nämlich auch außerhalb der normalen Arbeitszeit mit voller Tatkraft dabei!

- Hier finden Sie die Weisung zum Aufenthaltsrecht der Kinder und zum eigenständigen, unbefristeten Aufenthaltsrecht der Kinder (PDF 211 kb); eine Online-Galerie zeigt weitere Fotos von der Veranstaltung, weitere Informationen zum Thema - so auch die politischen Forderungen, die für den Flüchtlingsrat aus der aktuellen Rechtslage resultieren - gibt es beispielsweise auf den Internetseiten des Berliner Flüchtlingsrats.

text: wolk/Pfaff-Hofmann; fotos: wolk