Neues Bibliothekskonzept des Bezirks: Vision ohne Stadtteilbibliothek Schöneberger Norden

Ist beliebt, soll aber geschlossen werden: die Stadtteilbibliothek Schöneberger Norden

Am 30. August 2011 hatte Dieter Hapel, der stellvertretende Bürgermeister und Bildungsstadtrat für Tempelhof-Schöneberg, zum Gespräch über das Standortkonzept für die bezirklichen Büchereien in die Mittelpunktbibliothek (Theodor-Heuss-Bibliothek) geladen, und zahlreiche Interessierte waren dieser Einladung gefolgt.
„Das Bibliothekskonzept Tempelhof-Schöneberg, das wir bis zum Jahr 2016 umsetzen möchten, ist ausdrücklich kein Sparkonzept“, das wollte Hapel gleich zum Eingang gleich ganz klargestellt sehen.

Geplant ist in Kurzform, vor allem die teils sehr marode Tempelhofer Bezirkszentralbibliothek über mehrere Jahre zu sanieren und die Schöneberger Mittelpunktbliothek durch einen Umzug in eineinhalb Etagen des leer stehenden Hertie-Kaufhauses an der Hauptstraße auf mehr als das Doppelte zu vergrößern. Die Bücherei in Friedenau soll wenn irgend möglich auch nach dem Verkauf des Rathauses Friedenau weiter erhalten bleiben. Der Wermutstropfen in dieser Planung: Die Gertrud-Kolmar-Bücherei im Schöneberger Norden wird dann in die neue große Zentralbibliothek integriert und der Standort an der Pallasstraße geschlossen.
Das ausführliche Konzept samt Nachträgen finden Sie als Download auf den Internetseiten des Bezirksamts.

Platz für Kultur über Bücher hinaus: Ausstellung von KinderKunst in der Bücherei im Schöneberger Norden

„Die Mittelpunktbibliothek ist räumlich und vom Angebot her viel zu klein und nicht mehr zeitgerecht“, erklärte Herr Dr. Boese, der für alle Büchereien in Tempelhof-Schöneberg zuständig ist. Ohne Fahrstühle lässt sich die obere Etage von Rollstuhlfahrern oder Eltern mit Kinderwagen gar nicht oder nur sehr schwer erreichen, ein eigener Bereich für Kita- oder Schülergruppen fehlt ebenso wie Arbeitsplätze für ältere Schüler, Studenten oder Erwachsene, die sich mal in Ruhe an den Computer setzen möchten.

„Die Leute kommen freiwillig in eine Bücherei, da muss man ihnen auch etwas bieten können“, erklärte er das geänderte Bild von Bibliotheken. Gefragt seien attraktive Häuser an attraktiven Orten, und dergestalte Konzepte gingen auch auf. Das lasse sich zum Beispiel nur aus den Besucherzahlen der ins Einkaufszentrum „Schloss“ gezogenen Steglitzer Bücherei ablesen: Dorthin kämen um 150 Prozent mehr Menschen als vor dem Umzug und nutzten die Kombination aus Shopping und Medien – und auch Büchereien müssten eben wirtschaftlich agieren und stünden in Konkurrenz zueinander.

„Dass wir die Möglichkeit haben, ins zentrale Hertie-Kaufhaus zu ziehen und dort diese riesige Fläche zu nutzen, finde ich geradezu elektrisierend. Wir konnten in ersten Gesprächen mit Vertretern der Santander-Bank, der das Gebäude gehört, sehr gute Mietkonditionen aushandeln und bekommen die erste und einen Teil der zweiten Etage so eingerichtet, wie wir es wünschen.“ So werde die Vision handfest und realistisch – Boese rechnet mit 1.500 Besuchern täglich. Zusätzlich hätte eine Kultur- und Bildungseinrichtung an dieser Stelle auch einen hohen stadtplanerischen Wert.

Natürlich, so erklärten Hapel und Boese, hätte auch der Investor etwas von seinem großzügigen Angebot: So große Immobilien seien nicht einfach zu vermieten, und eine Bücherei ziehe zusätzliches Publikum an, das „jünger, weiblicher und gebildeter“ als sonst oft in Einkaufslagen sei – ein belebender Effekt, der auf die gesamte Gegend zurückwirke und weitere Geschäfte und somit auch Mieter anziehe.

Einige der Gesprächs-Besucher/innen werteten diese Pläne als tolle Chance. Sie freuten sich auf eine schöne große Bücherei in zentraler Lage, in der man nach dem Einkauf Bücher ausleihen oder auch mal verschnaufen könnte.

Kinder und Erwachsene finden in der Gertrud-Kolmar-Bibliothek auch auf ganz spielerische Weise Zugang zu Büchern und anderen Medien

Aber auch Kritik wurde laut: Sei eine Sanierung des alten Standorts nicht günstiger als dauerhaft Miete zu bezahlen, und worin bestünden die über den Büchereibetrieb hinaus bestehenden Angebote? Und was, wenn die Bücherei nach den veranschlagten zehn bis fünfzehn Jahren zur Miete raus müsse aus dem Kaufhaus und dann auf der Straße stehe?
Mal ganz abgesehen von dem Verlust, den die Schließung der Stadtteilbücherei an der Pallasstraße bedeute - in einem Quartiersmanagement-Gebiet, in dem gerade Angebote aus dem Bildungsbereich und zur Integration extrem wichtig seien …

Im Schöneberger Norden seien die Besucherzahlen in den letzten Jahren verdoppelt worden, so ein Redner aus dem Publikum, die „Interkulturelle Bibliothek“ dort spreche auch gerade die Anwohner nichtdeutscher Herkunft an. Es gebe eine sehr enge Vernetzung mit den umliegenden Kitas und Schulen, wie auch der Leiter der Sophie-Scholl-Oberschule, in dessen Haus sich die Bücherei befindet, bestätigte: "Die Gruppen kommen gern in unsere helle und freundliche Bücherei."
Ob diese Menschen – Kinder und Erwachsene - den Weg bis in die Hauptstraße finden, sei fraglich, auch wenn die Interkulturelle Bibliothek nach Auskunft von Dr. Boese samt dem „dazugehörigen“ Sozialarbeiter dort integriert wird.

Einige weitere Argumente für die Gertrud-Kolmar-Bibliothek fanden aus Zeitgründen kein Gehör mehr: Die Stadtteilbibliothek ist Bestandteil der in jahrelanger Netzwerkarbeit aufgebauten Bildungslandschaft Schöneberger Norden, die unter anderem mit QM-Fördermitteln für die Anschaffung der interkulturellen Medien unterstützt wurde und sich so zum Treffpunkt für alle aus der Nachbarschaft entwickelt hat – von Kita- und Schülergruppen, die dort Besuche machen oder sich interkulturelle Medien für die ganze Familie ausleihen, bis hin zu Erwachsenen, die so Bücher in ihren Herkunftssprachen lesen können.
Der Verlust einer so wichtigen Bildungseinrichtung im Schöneberger Norden wäre herb und nicht auszugleichen.

Doch der Trend scheint weg zu gehen von rein zahlenmäßig nicht so rentablen stadtteilnahen Kultur- und Bildungseinrichtungen der kurzen Wege hin zur Zentralisierung.
Und die Zeit drängt: „Wenn wir nicht ins Hertie-Kaufhaus umziehen und so gleichzeitig auch rentabler werden, müssen wir in den kommenden Jahren trotzdem Häuser schließen, weil das Geld fehlt“, so Dr. Boese. Absolute Sicherheit, wie sich das Ganze entwickeln werde, gebe es nie – aber sonst drohe der Stillstand. „Wir haben hier eine ideale Gelegenheit“, schloss sich Herr Hapel an. „Aber das Zeitfenster, in dem wir die Flächen im Kaufhaus bekommen können, ist genau jetzt offen und besteht nicht ewig. Wir sprechen das Konzept nun weiter in den Fachgremien durch, nach den Wahlen im September sollten wir uns entscheiden.“

- Vielen Dank an dieser Stelle nochmals an Herrn Hapel, dass er noch im Wahlkampf-Stress dieses Bürgergespräch möglich gemacht hat. Wir im Schöneberger Norden hoffen natürlich weiter, dass es einen Weg geben wird, „unsere“ Bücherei vor Ort zu erhalten.

text/fotos: wolk