Nachbarschaftsverträgliche Straßenprostitution - wie lässt sich das erreichen?
Wie tritt die Straßenprostitution für die Anwohnerinnen und Anwohner des Gebiets rund um die Kurfürstenstraße in Erscheinung, welche Probleme zieht der Straßenstrich vor Ort mit sich und welche Ideen und Lösungsvorschläge gibt es? - Dass diese Fragen nach wie vor große Bedeutung haben und zu teils recht kontroversen Diskussionen führen, zeigte sich einmal mehr bei der Veranstaltung „Belastung der Nachbarschaften durch Straßenprostitution" am 13. Juli 2011 im Nachbarschaftstreffpunkt Huzur.
Mehr als 80 Interessierte waren der Einladung von Frau Schöttler, der Stadträtin für Familie, Jugend, Sport und Quartiersmanagement und des Quartiersmanagement-Teams Schöneberger Norden gefolgt, um Vorschläge zu sammeln, wie das Nebeneinander von Prostitution und Wohngebiet für alle verträglicher gestaltet werden kann.
Prostitution ist legal – das stellte Frau Schöttler gleich zu Beginn beim Blick auf die rechtliche Lage nochmals ganz klar (mehr dazu HIER). Ebenso klar ist, dass es in Berlin keine Sperrbezirke gibt und dies nach Meinung der Senatsebene auch so bleiben soll, unter anderem wegen der erwiesenermaßen erhöhten Bedrohung und Gewalt gegen die Frauen in Sperrzonen.
Auf zahlreichen Besprechungen, Präventionsratssitzungen, Runden Tischen und Terminen vor Ort wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Anregungen der Bewohnerschaft und Anrainer aufgenommen und in Maßnahmen umgesetzt, die schon einiges gebracht haben:
Das Spektrum reicht von der Veränderung der Straßenführung über ein verbessertes medizinisches Angebot für die Prostituierten bis zu Sprachmittlerinnen, die – abwechselnd von den beiden ansässigen QMs finanziert - den Frauen auf der Straße in ihren Muttersprachen erklären, wie sie sich „sozialverträglich“ verhalten. Dennoch, so Schöttler, bestünden die Belastungen natürlich weiter – und man wolle weiter zusammen an Verbesserungen arbeiten.
Wichtig sei in diesem Zusammenhang zu verstehen, welche bezirklichen und polizeilichen Möglichkeiten es im Umfeld des Straßenstrichs gebe.
Das Gebiet um die Kurfürstenstraße, erklärte Frau Phlippeau vom Präventionsteam des Schöneberger Polizeiabschnitts 41, gelte als „Bereich mit hoher Kriminalitätsbelastung“.
In solchen Gebieten hat die Polizei besondere Rechte: Sie kann jederzeit und verdachtsunabhängig Kontrollen bei allen Personen, die sich dort aufhalten, durchführen. Aufgabe der Polizei ist es, Straftaten zu verhindern und zu erforschen, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und auch präventiv – also schon bevor etwas passiert – tätig zu werden.
Sowohl uniformierte Kollegen und Kolleginnen als auch Zivilbeamte sind regelmäßig im Kiez unterwegs, um Straftaten zu verhindern oder wenn nötig zu ermitteln.
Als Straftaten gelte zum Beispiel die jugendgefährdende Prostitution vor einer Kita oder „offen“ im Auto vollzogener Geschlechtsverkehr (Erregung öffentlichen Ärgernisses) – beides kann bei der Polizei angezeigt werden.
Das führe zugegebenermaßen manchmal zu einem Dilemma für die Anzeigenden: Wer sich vor Aggressionen fürchte, hätte natürlich auch Angst eine Anzeige zu Protokoll zu geben. Insgesamt habe es in den letzten Jahren allmählich mehr Anzeigen gegeben, aber auch weiterhin könne sie nur dazu aufrufen, Vorfälle auch wirklich aufnehmen zu lassen, so Phlippeau.
Erreichbar ist die Polizei dafür rund um die Uhr unter der Nummer 110 oder unter der 4664 – 4664, oder Sie geben Ihre Anzeige online bei der Internetwache auf.
Neben den Polizeibeamten in Uniform sind auch Kollegen des Landeskriminalamts in Zivil vor Ort: Sie legen ihren Fokus zum Beispiel auf Verbrechen wie sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel oder organisierte Kriminalität.
In den Bereich der Ordnungswidrigkeiten gehören Vorfälle wie Lärm, Verschmutzung oder Belästigung der Allgemeinheit – zum Beispiel durch unangemessene Bekleidung. Diese nimmt am Tag das Ordnungsamt auf, nächtliche Vorkommnisse leitet die Polizei an das Amt weiter.
Auch Verstöße gegen das Gewerberecht sind Fälle für das Ordnungsamt: Die Prostituierten müssen für die legale Ausübung ihres Berufs eine steuerliche Anmeldung vorweisen können – Verstöße dagegen fallen zum Beispiel bei den oben erwähnten polizeilichen Kontrollen auf.
Wenn Nachbarn Beschwerden äußern, kommen diese sehr wohl bei der Polizei-Sprechstunde mit Prostituierten im Frauentreff Olga zur Sprache. Dort geht es außer um Tipps zur Verhinderung von Gewalt gegenüber den Frauen eben auch um gezielte Hinweise zum erwünschten Verhalten vor Ort.
Insgesamt gebe es eine gute Vernetzung, nicht nur durch die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen des Abschnitts 34 in Tiergarten Süd: In der Fachgruppe Kurfürstenstraße treffen sich alle vor Ort arbeitenden Projekte und Behörden zum monatlichen Austausch.
Damit alle Anwesenden von der gleichen Ausgangslage ausgehen, stellte Frau Gut die Faktoren vor, die immer wieder in diesem Zusammenhang von Bewohnerschaft und Gewerbetreibenden genannt und skizziert werden:
Die Anwohner/innen leiden unter nächtlicher Ruhestörung durch Gekreische, Musik, laute Gespräche etc.; der Freiersuchverkehr sorgt für zusätzlichen Straßenlärm. Auffällig ist der Schmutz im öffentlichen Raum, auf Höfen in Eingangsbereichen (Fäkalien, Kondome, Spritzen etc.). Immer wieder fühlen sich Menschen durch öffentlich vollzogenen Sex (sichtbar und/oder hörbar) belästigt. Ungewollte Ansprache von Sexarbeiterinnen oder Freiern auf der Straße fallen als sehr unangenehm auf, ebenso freizüge Kleidung und Gesten der Sexarbeiterinnen. Dazu kommt die Lärmbelästigung ausgehend von Kiosken und/oder Kneipen mit 24-Stunden-Betrieb.
Anschließend ging Frau Gut auf Möglichkeiten verschiedener Bezirksamts-Abteilungen genauer ein:
Nächtliche Ruhestörung, Schmutz und weitere Ordnungswidrigkeiten sowie Kontrollen vor Ort gehören ebenso wie die Gewerbeanmeldung ins Aufgabenspektrum des Ordnungsamts. Sie erreichen es über das Bürgertelefon unter der Nummer 115 (werktags von 8 bis 18 Uhr), oder Sie wenden sich unter der Nummer 90 277 3460 direkt ans Ordnungsamt. In der Nacht ist die Polizei zuständig.
Der Fachbereich Natur sorgt im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür, Büsche und andere Pflanzen so niedrig zu halten, dass es keine versteckten Ecken als willkommene „Verrichtungsorte“ gebe. Die Spielplätze im Gebiet haben Zäune, und der Schließdienst erfolgt durch Einrichtungen, die Bewohnerschaft oder durch Firmen.
Für die Lenkung der Verkehrsflüsse – zum Beispiel durch Sperr-Poller an der Kurmärkischen Straße vor der Kita oder die Einbahnstraßenregelung an der Frobenstraße oder die Veränderung der Parkplätze– ist das Tiefbauamt zuständig. Da seien aber rasch Grenzen der Wirksamkeit erreicht, so Gut: Das Ergebnis solcher Maßnahmen führe meist zur Beruhigung einer bestimmten Region im Kiez, dafür verlagern sich die Probleme aber an andere Stellen.
Und Lärmschutzkontrollen sind, nach entsprechenden Anzeigen, Aufgabenbereiche des Fachbereichs Umwelt.
Im Rahmen der Arbeit des Präventionsrats und des Quartiersmanagements Schöneberger Norden spielen Vernetzung und Kooperation mit allen Beteiligten eine große Rolle. Es gibt kurze Wege, man kennt sich – darin liegt die Stärke dieser Zusammenarbeit. Möglich werden dadurch ineinander verzahnte Maßnahmen ebenso wie die Initiierung von Projekten vor Ort in Zusammenarbeit mit Anwohner/innen, lokalen Akteuren sowie ansässigen Einrichtungen.
Stadträtin Schöttler machte deutlich, dass die Möglichkeiten des bezirklichen und polizeilichen Handelns jedoch begrenzt sind und nur im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen erfolgen können.
Wie kann man die Lage vor Ort für alle angenehmer machen?
Darüber gingen die Meinungen bei der anschließenden Diskussion teils recht weit auseinander: Die einen riefen sehr deutlich trotz der Gesamtberliner Haltung nach Sperrzeiten oder Sperrbezirken und wollten dafür auch demonstrieren. Andere schlugen vor, Fotos von Freiern im Internet zu veröffentlichen – was aufgrund hiesiger Datenschutzbestimmungen nicht geht.
Gleich mehrmals tauchte in einer Ideensammlung der Wunsch nach mehr Sauberkeit auf: Mülleimer bzw. Entsorgungsmöglichkeiten für gebrauchte Spritzen sowie eine Erhöhung der für die BSR maßgeblichen Reinigungsklasse des Gebiets wurden gefordert.
Eine verstärkte Kontrolle der Freier, „sichtbare“ uniformierte Beamte oder Parkraumbewirtschaftung könnten Besucher des Strichs abschrecken, stärkere Beleuchtung für eine ungemütliche Atmosphäre sorgen.
Die Prostituierten immer wieder auf das Wohngebiet rund um ihren Arbeitsplatz hinzuweisen, Vernetzungsrunden mit wirklich allen Beteiligten oder Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen abzuhalten oder mit Nachbar/innen öffentliche Plätze „besetzen“ um zu zeigen, wer hier alles wohnt - und vielleicht besser ins Gespräch zu kommen: Diese Vorschläge gingen eher in die Richtung eines verbesserten Miteinanders.
Neben vielen Beiträgen zu belastenden Situationen machten einige Anwohner/innen in der sehr lebhaften Diskussion aber auch deutlich, dass sie gerne im Schöneberger Norden wohnen und sich mit viel Energie auch dafür einsetzen, in der Nachbarschaft etwas zu bewegen. Gemeinsames Handeln sei wichtig, nicht nur Probleme bei der Verwaltung abzuladen. Allein mit Ordnungsmaßnahmen lasse sich ein sehr vielschichtiges und oft gesellschaftlich tabuisiertes Phänomen nicht fassen. Und es entspreche weder demokratischen noch religiösen Grundlagen, Menschen, die nicht in ein bestimmtes Bild passen, auszugrenzen.
Dem Vorschlag, eine monatliche Anwohner-Sprechstunde im Schöneberger Norden nach Vorbild der ehemaligen Sprechstunden im Nachbargebiet Tiergarten Süd abzuhalten, standen alle Beteiligten aus dem Bezirksamt und von der Polizei sehr offen gegenüber. Auch Gespräche mit den Wohnungsbaugesellschaften wurden vorgeschlagen.
Bestimmt werden die gesammelten Ideen auch bei den kommenden Präventionsrats-Treffen nochmals zur Sprache kommen.
Wer möchte, kann sich aber auch schon in Kürze an einer Arbeitsgruppe beteiligen, die im Rahmen einer Studie zur Prostitution im Gebiet rund um die Autorin der Studie, Frau Howe, entstanden ist:
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen zum nächsten Treffen dieser Gruppe am Mittwoch, 17. August um 18.30 Uhr im Gemeindehaus der Zwölf-Apostel-Gemeinde an der Kurfürstenstraße.